Und sonst so?

Nach einer längeren Pause, melde ich mich nun mit einem kleinen Lebenszeichen. Grund für die Pause war mein Ärger mit diesem Blog. Ich wollte ihn professioneller gestalten, doch ein Bug (Programmierfehler) machte mir Probleme. Inzwischen steht fest, dass nicht einmal die WordPress-Fachmänner diesen Bug beheben können. Da es in diesem Blog unmöglich ist, weitere Seiten anzulegen, habe ich zusätzlich eine Website angelegt. Wer sehen möchte, was ich sonst so mache, erfährt es auf alexandrakloeckner.de.

Für diesen Blog werde ich gewiss eine Lösung finden und melde mich bald wieder. Bis dahin: Alles Liebe!

Eure Alexandra

Stell dir vor, es ist Freibad und keiner geht hin

Ein seltsamer Titel für ein ungewöhnliches Erlebnis. Kaum dass die Sommerferien beginnen, überlegt man sich als Familie, was man gemeinsam unternehmen könnte und landet früher oder später im Schwimmbad. Bei gutem Wetter gerne im Freibad. Am besten in einer besonders schön angelegten Poollandschaft. Meist kommen dummerweise viele Familien auf diese geniale Idee, so dass man sich auf dem Badelacken oder der Picknickdecke schließlich fühlt, wie eine Sardine in der Dose. Eigentlich.

Freibad

Stell Dir vor, Du kommst ins Freibad und niemand ist da. Im Sommer. Bei über 25° Celsius. So stand ich kürzlich samt Mann und Kids an der Kasse eines Freizeitbades und staunte. Ein Blick durch die Fensterscheibe nach draußen verriet uns, dass auf der Wiese kein Mensch zu sehen war und in einem der Becken lediglich zwei Personen plantschten. Durch eine Glaswand konnten wir ins Hallenbad schauen und verblüfft feststellen, dass auch dort lediglich eine Handvoll Leute badete. Sommerferien in einem Touristenort. Mit einer Jugendherberge nebenan und einem Freizeitpark quasi um die Ecke. Was war bloß los? Zugegeben, die Wettervorhersage war für diesen Tag etwas schwammig: Regenwahrscheinlichkeit 40 %, gelegentlich eventuell kurzes und leichtes Gewitter. Doch laut Smartphone war das Gewitter bereits vorbeigezogen und die Temperaturen sprachen ebenfalls für Wasserspaß im Freien. Aller Menschenleere zum Trotz entschieden wir uns daher für die Outdoor-Variante, kauften das günstige Familienticket und begaben uns nach draußen. Das Freibad gehörte uns. Vom Baby- bis zum Schwimmerbecken. Die ganze Wiese samt großen Sonnenschirmen, Spielplatz und mehreren Beachvolleyballplätzen. Alles. Wir hatten sogar eine Wasserrutsche sowie einen Bademeister nur für uns allein. Na gut, der war nicht nur für uns, sondern auch für die vier anderen Personen da. Eine Oma mit Enkelin spielten im Wasser und zwei große Teenager lagen auf einem Hügel im Gras.

Als Familie konnten wir uns herrlich ausbreiten. Nie zuvor hatten wir derart viel Platz für Ballspiele im Wasser gehabt. Immerzu mussten wir laut lachen, so großartig war das. Wo wir uns sonst stets zwischen den Leuten Platz erkämpfen mussten, um einen Ball überhaupt werfen zu können, konnten wir diesmal machen, was wir wollten. Und während wir draußen die große Freiheit erlebten, sahen wir durch eine Scheibe, wie sich nebenan im Hallenbad die Räume füllten. Hach, bei uns schien die Sonne, das Wasser spritzte und das grandiose Bergpanorama toppte noch den Genuss. Wann hat man die Wasserrutsche für sich allein? Wann sonst kann man in Ruhe seine Bahnen schwimmen? Im Freibad, im Sommer, in den Sommerferien, bei gutem Wetter? Ihr habt recht, das kann es gar nicht geben. Jedenfalls nicht dauerhaft. Nach etwa einer Stunde änderte sich die Sachlage auf Knopfdruck. Wir hörten sie kommen, bevor wir sie sahen. Ihre Stimmen hallten durchs Moseltal.

80 bis 100 Kinder und Jugendliche stürmten auf einmal das Freibadgelände. Als Kette hielten sich jeweils acht von ihnen aneinander und rutschten so ins Spielbecken. Andere sprangen direkt ins Wasser und gaben lautstark ihre Freude kund. Knapp 20 von ihnen liefen vor Freude brüllend direkt zum Schwimmerbecken und etwa 30 versammelten sich an der Sprunganlage. Die Lautstärke der Gruppe lässt sich nicht in Worte fassen, das Chaos ebenso wenig. Trotz eines plötzlich kühlen Windes und zwischendurch unangenehm bewölkten Himmels, verhielt sich die Menschenmenge, als feiere man eine wilde Party auf einer tropischen Insel. Während uns etwas kalt wurde, jauchzten die Teens und Kids vor Freude. Schnell stand fest: das konnten keine Deutschen sein. Richtig, es waren Briten. So frei sie sich untereinander verhielten, so vorsichtig gingen sie mit uns Außenstehenden um. Sie ließen uns weiterhin viel Platz für Ballspiele oder was auch immer wir gerade tun wollten. Wie laut sie auch sein mochten, so fühlten wir uns nicht gestört. Allerdings wusste der Bademeister zwischendurch nicht weiter, denn zu seinem Leidwesen war anfangs keine einzige Aufsichtsperson in Sicht.

Nach etwa drei Stunden legten sich die Mitglieder dieser Reisegruppe auf ihre Handtücher und ließen sich lange von der Sonne trocknen. Danach gingen sie Richtung Ausgang. Auch wir packten unsere Sachen, da es immer kälter wurde. An den Umkleiden trafen wir die Gruppe wieder und sahen sie schließen in zwei riesigen Reisebussen wegfahren. Kaum, dass wir das Schwimmbad verlassen hatten, begann es wie aus Eimern zu regnen. Gutes Timing ist alles.

Sonst noch Wünsche?

20180404_165231Im Vorbeigehen sah ich hinter hohen, noch herbstlich anmutenden Pflanzen bunte Bänder im Wind flattern. Neugierig ging ich näher heran und blickte zwischen den Ästen hindurch. Keine Zweifel, es war ein Wunschbaum.

Nicht nur bunte Bänder, sondern auch Papierseiten, Stofffetzen und so ziemlich alles, worauf sich schreiben lässt, hing an diesem Baum. Wenige Meter weiter wies ein befestigtes Schild die Besucher darauf hin, dass es sich hierbei um einen Wunschbaum handele und jeder dazu eingeladen sei, auch seine Wünsche daran zu befestigen. Dazu verspürte ich zwar kein Verlangen, doch neugierig war ich durchaus. Was sich andere Menschen wohl wünschten? Ich verrate es euch.

Bei nahezu jedem dritten Wunsch handelt es sich um „Weltfrieden“ oder „Pferd“. Gerne auch „Pferd oder Fohlen mit Zubehör“. Nicht alle Wünsche sind auf deutsch formuliert, doch sogar in mir ganz fremden Sprachen kann ich das Wort „iPhone“ verstehen. Tatsächlich scheinen sich nicht wenige Menschen nach Gegenständen der Marken Apple und Nerf zu sehnen.

Neben derartigen Wünschen, sind dort jedoch auch sehr rührende zu lesen. So wünscht sich beispielsweise jemand, er möge „fürs Umfeld keine Belastung mehr sein und endlich bald gesund werden“.

Zwei Wünsche habe ich für Euch fotografiert, weil sie in ganz andere Richtungen gehen und mich zum Lachen gebracht haben.

Wunsch am Wunschbaum
Männer! 🙂

 

Wackelzahn-Wunsch am Wunschbaum
Das wird sich vermutlich kein Opa gewünscht haben.

So viel zu den Wünschen anderer Leute. Bestimmt habt auch Ihr einiges auf dem Herzen. Mir persönlich sind Gegenstände ziemlich gleichgültig. Ich kann mich zwar an schönen Dingen erfreuen und genieße sie durchaus, aber meine Wünsche haben stets mit Menschen zu tun. Mit ihrer Gesundheit zum Beispiel. An einen Baum habe ich noch nie Wünsche befestigt. Das ist nicht meine Art. Außer, es ginge um einen Witz, dann würde ich mir etwas Lustiges einfallen lassen. Ansonsten haben Wünsche, wenn sie ernst gemeint sind und sich nicht auf Gegenstände beziehen, doch eigentlich etwas mit Glauben zu tun, meint Ihr nicht?

Kürzlich haben wir Ostern gefeiert. Das Fest gilt als Nachricht, die unser Leben erhellt und zeigt, dass der Tod nicht unser Ende bedeutet. Da die Osterzeit noch nicht vorbei ist, wünsche ich euch noch frohe Ostern und ganz viel Licht in Eurem Leben.

Frau Welke shoppt auf dem Sofa

Auf dem SofaWann immer man an ihrem Fenster vorbeispaziert, sieht man Frau Welke auf dem Sofa sitzen. Ab und an sitzt sie auch am Küchentisch. Oder am Esstisch im Wohnzimmer. Seien wir nicht kleinlich: sie sitzt. Gleichgültig wo. Aber mit Laptop. Jedes Mal mit Laptop. Dann sitzt sie da, am Tisch oder auf dem Sofa, starrt auf den Monitor ihres Laptops und shoppt.

Sie shoppt im Internet surfend Klamotten. Oder Handtaschen. Erst neulich hatte sie mal wieder eine neue Tasche im Arm, als sie rüber zur Metzgerei acht frische Mettwürstchen und einen Rinderbraten kaufen ging. Hat man gesehen. Zufällig. Frau Welke shoppt also Klamotten und Handtaschen. Am Laptop.

Und diese komischen neuen Schuhe, die sie zum Joggen anzieht. Frau Welke shoppt also auch Schuhe. Sie shoppt Kleidung, Handtaschen und Schuhe am Laptop. Täglich.

Erst gestern stellte sie wieder neue Blumentöpfe auf die Fensterbank ihres Schlafzimmers. Weiße, zwischen die Blauen. Weiß, blau, weiß, blau. Frau Welke shoppt Kleidung, Handtaschen, Schuhe und Blumentöpfe im Internet. Sitzend. Täglich.

Heute früh hat sie eine Holzfigur vors Haus gestellt und ein Dekoherz ins Küchenfenster gehängt. Frau Welke shoppt also auch Deko im Internet. Am Laptop. Auf dem Sofa. Die ganze Zeit.

Von morgens bis knapp um zwölf. Dann muss sie ihre Kinder aus der Schule abholen. Frau Welke shoppt täglich den halben Tag. Sitzend. Am Laptop.

Jeder, der am Fenster vorbeigeht, kann es sehen. Sie sitzt. Am Tisch oder auf dem Sofa. Sie surft die ganze Zeit und shoppt Sachen. Sie shoppt Kleidung, Handtaschen, Schuhe, Blumentöpfe und Deko.

Wer weiß, vielleicht hat sie auch ihre Kinder geshoppt. Am Laptop. Im Internet.

Woher die Familie wohl so viel Geld hat? Zwei große Autos, zwei Kinder, zwei Haustiere und viele Reisen. Sie shoppt also auch Reisen. Frau Welke shoppt Kleidung, Handtaschen, Schuhe, Blumentöpfe, Deko, Haustiere, Kinder und Reisen. Täglich.

Frau Welke ist ein unheimlicher Mensch. Sie sagt, sie arbeitet im Homeoffice. So nennt man es also, wenn man nur dasitzt. Zu Hause. Am Laptop. Und shoppt.

 

(Zu diesem Text inspirierte mich ein Gespräch mit meiner Freundin Ute, die seit Jahren im Homeoffice arbeitet. „Wer an meinem Haus vorbeigeht, sieht mich immer am Laptop sitzen. Die Leute denken: Sie shoppt schon wieder“, erzählte die erfolgreiche Businessfrau schmunzelnd. Während ich heute am Küchentisch einen Artikel verfasste und aus dem Fenster blickte, fiel mir das Gespräch wieder ein.)

Alltagsschnipsel: Kleingedrucktes beim Augenarzt

Beim AugenarztAugenarztpraxis. Am Empfang steht ein alter, gekrümmter Mann. Er lehnt an der Theke, während eine junge Mitarbeiterin seine Daten in den iMac eingibt.

“Haben Sie eine Begleitperson dabei?”, fragt sie.

Der Patient schüttelt leicht den Kopf. “Nein, ich bin alleine hier.”  

“Aber Sie wissen ja, dass heute unter anderem die Untersuchung geplant ist, für die Ihnen Augentropfen verabreicht werden. Acht Stunden werden Sie nicht richtig sehen können!”, klärt die Dame ihn auf.

“Oh, das war mir leider nicht klar.”

“Warum nicht? Es steht doch auf dem Kärtchen, das Sie dabei haben!”

Die junge Frau nimmt ihm das etwa 4x5cm kleine, vollgedruckte Kärtchen aus der Hand und deutet auf einen Satz am unteren Ende. Kleingedrucktes.

Der alte Mann scheint sich nach einer Lupe umzusehen. Ratlos kneift er schließlich die Augen zusammen und blickt angestrengt auf die Zeile. “Das tut mir sehr leid”, entschuldigt er sich freundlich.

“Nun gut”, meint die Empfangsdame, “dann machen wir das mit den Tropfen beim nächsten Mal.”

Fotograf Henry Tornow: „Koblenz gibt mehr her, als die meisten vermuten.“

(Henry Tornow, Foto: Manolito Röhr.)

Koblenz, 9:30 Uhr im Altstadt-Café. “Hi!”, höre ich hinter mir und drehe mich um. Da steht er, der Durchstarter aus Koblenz. Einer, der es vom Hobbyisten zum gefragten Fotografen geschafft hat. Dabei hatte alles mit einer simplen Facebookseite angefangen, die ihn nicht zuletzt bis auf die TV-Couch führte. Henry Tornow heißt der junge Mann, der ein wenig verschlafen neben mir steht und sich durch die verwuschelten Haare fährt.

Nie zuvor hatte ich Tornow ohne Kamera gesehen. Ob privat, bei zufälligen Begegnungen auf dem Festungsplateau oder auf Events – stets hatte er einen Apparat dabei. Heute nicht. Ich bin überrascht, jedoch nicht nur deswegen.

Wer bist du und was machst du?

Ich heiße Henry Tornow, bin 23 Jahre jung und Fotograf – leidenschaftlich und hauptberuflich. Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich das machen kann, was ich am liebsten tue.

Die Koblenzer Fotografie-Szene wächst. Wie findest du das?

Ich finde es auf jeden Fall schön, dass es hier so viele Hobbyfotografen gibt, die sich genauso begeistern für die Sache wie ich. Es gibt unter anderem einen Foto-Stammtisch, zu dem teilweise 20 Leute kommen. Ich unterhalte mich gerne mit Gleichgesinnten über Fotografie. Mit Begeisterten von Jung bis Alt.

“Schau mal, ein sattes Bokeh an kalten Farben.”

Unterscheiden sich die jungen Fotografen von den älteren?

Ich denke, junge Fotografen gehen die Sache anders an, beispielsweise die Bildbearbeitung. Sie bekommen mehr aktuelle Trends mit. Stile, die von bekannten Fotografen ausprobiert und von anderen übernommen werden. Willst du ein aktuelles Beispiel sehen? Da läuft gerade was auf Instagram. (Henry zeigt mir City-Bilder mit vielen bunten Lichterkreisen im Hintergrund und jeweils einer oder zwei Personen im Vordergrund.) Schau mal, ein sattes Bokeh an kalten Farben. Das sind die Original-Bilder eines bekannten Fotografen und hier jetzt die eines Hobbyfotografen. Man sieht, wessen Bilder er nachahmt, nicht wahr?

Tatsächlich! Das erkennt sogar mein ungeschultes Auge, so offensichtlich ist das.

Genau, und das ist ein Beispiel für Online-Trends in der Fotografie. Ein berühmter Fotograf kommt auf die Idee, probiert Dinge aus und andere ahmen es nach oder versuchen es zumindest.

Aber strebt man als Fotograf nicht seinen eigenen Wiedererkennungswert an? Oder ist Vielseitigkeit gefragter?

Kommt drauf an. Ich finde es gut, wenn man sein Fachgebiet gefunden hat. Der Wiedererkennungswert ist wichtig. Deshalb trenne ich zwischen Hochzeitsfotografie, Privatem und Schönes Koblenz.

Mit Letzterem verdienst du auch Geld.

Ja, aber das nimmt nur wenig Platz im Ganzen ein. Die Hochzeitsfotografie ist das, was ich am liebsten mache.

Warum?

Die Emotionen reizen mich. Das, was man an so einem Tag aufnimmt, ist etwas ganz anderes als beispielsweise Portrait-Fotografie. Ich fühle bei den Bildern mehr. Es weckt mehr Emotionen in mir.

In dir? Ich dachte, in der Fotografie ginge es darum, Emotionen beim Betrachter zu wecken.  

Ja auch, aber ich mache das eigentlich für mich. Ich empfinde es als schön. Mein Antrieb ist, diese Gefühle einzufangen.

Und was, wenn du beim Fotografieren denkst, “Oh Gott, das Brautpaar passt eigentlich gar nicht zusammen”?

Hm, ich habe ein romantisches Bild von Hochzeit und Ehe. Glückliche Paare mit ihrer Familie – das ist wunderschön.

“Ich halte mich für unkreativ.”

Sieht man als Fotograf mehr als andere?

Ja, man schaut genauer hin, achtet mehr auf seine Umgebung.

Auch während wir hier im Café sitzen?

Ich schaue immer, was man fotografieren könnte. Gerade jetzt, da der Weihnachtsmarkt hier ist. Bei längeren Straßen zum Beispiel (Er zeigt aus dem Fenster.) ist die Perspektive auf so einen Weihnachtsmarkt und die Lichterdeko an den Häusern toll.

(Koblenz im Zeitraffer. Von Henry Tornow.)

Also bist du stets mit dem Fotografenblick unterwegs?

Nicht ganz. Ich kann die Kamera gut weglegen. (lacht) Naja, wenn ich mit dem Fahrrad unterwegs bin, muss ich aufpassen, dass ich nicht angefahren werde, weil mir die schönen Motive auffallen.

War das schon immer so?

Hm, ich wollte schon immer schöne Momente einfangen. Es ging typischerweise mit dem Sonnenuntergang los, weil das ein total vergänglicher Moment ist. Ich halte mich für unkreativ. (Ich lache.) Nein, wirklich, ich fotografiere immer das, was einfach da ist.

Und was unterscheidet dich von anderen Fotografen?

(Henry überlegt kurz.) Vom Bildstil her mache ich einiges anders. Es muss gar nicht um besser oder schlechter gehen.

Einige deiner Projekte, wie das Deutsche-Eck-Video hast du zusammen mit anderen kreativen Köpfen gemacht. Bist du ein Teamplayer?

Ja, definitiv! Denn ich kann nicht alles gut. Vieles können andere besser als ich, deshalb ist es toll, wenn man etwas zusammen machen kann. Allerdings verderben manchmal zu viele Köche den Brei. So bin ich beispielsweise froh, Schönes Koblenz alleine zu machen.

Was ist Schönes Koblenz für dich – ein Projekt?

Projekt klingt zeitlich befristet, aber das ist es nicht. Schönes Koblenz ist aus Begeisterung für die Stadt entstanden und hat mir unerwartet viel gebracht. Ich schreibe zum Beispiel niemanden an, damit er meine Bilder liked oder mich beauftragt. Die Leute kommen immer von alleine, weil ich mit der Seite und meinen Fotos von der Stadt viele Menschen erreiche. Insofern habe ich Schönes Koblenz viel zu verdanken. Anfangs war den meisten nicht bekannt, wer dahinter steckt, aber inzwischen schreiben mich einige Follower mit “Hallo Henry” an. Das freut mich sehr.

Bist du von den Bildern überzeugt, die du dort postest oder wartest du manchmal gespannt die Reaktionen ab?

Die Bilder, die ich poste, gefallen mir immer. Das Feedback ist aber durchaus unterschiedlich, da manche Motive gefragter sind als andere. Zum Beispiel zieht das Deutsche Eck immer – und auch der Blick von der Festung bringt viel Feedback ein.

Was ist ein weniger beliebtes Koblenzer Motiv und warum?

Es gibt da so ein Lokal auf dem Asterstein, von dem man einen tollen Blick auf die Pfaffendorfer Brücke hat, aber das stößt nicht auf so große Begeisterung wie die anderen Motive. Vermutlich liegt es daran, dass man darauf Koblenz nicht auf den ersten Blick erkennt.

Also sind die Fans von “Schönes Koblenz” hier regional verankert?

Ja, ein großer Teil von ihnen lebt in dieser Region. Bei vielen handelt es sich aber auch um Koblenzer, die weggezogen sind und Heimweh haben. (grinst)

Was machst du, wenn du nicht gerade Koblenz oder Frischvermählte ablichtest?

Ich fotografiere auch privat sehr gerne. Das wissen viele gar nicht. Allerdings mache ich das nicht mehr so oft. Vor allem Konzerte und Urlaube. Bands, die ich mag. Es sind kleinere Bands aus Amerika oder England. In Köln finden viele interessante Konzerte statt. (Er zeigt mir ein Foto auf seinem Smartphone.) Das hier ist Frittenbude, kennst du diese Band? Am liebsten fotografiere ich Backstage – bevor die Musiker auf die Bühne gehen oder bei der Probe. Also das Drumherum.

Auch das hat mit Emotionen zu tun.

Ja, ich mache auch selbst Musik. Metalcore. Früher war ich Teil einer Band – und in Koblenz mache ich Akustik-Musik. Wir sind als Cross My Heart auch auf YouTube zu finden. Genau wie bei Bildern, weckt auch Musik Emotionen in mir.

Und du sagst, dass du nicht kreativ bist!?

Musikalisch eher als fotografisch. Ich denke mir als Fotograf nicht so viel aus, sondern mag eher quasi Reportagen, halte Momente fest.

(Ein blinkendes Licht an seinem Smartphone signalisiert, dass er eine Nachricht empfangen hat. Doch Henry lässt sich davon nicht ablenken.)

Koblenz ist nicht New York. Die Motive sind begrenzt. Wann wird es, deiner Meinung nach, Zeit, sich nach einem neuen Ort umzusehen?

(lacht) Eine sehr gute Frage! Ich mache das so lange, wie es Spaß macht. Ich kann´s dir nicht sagen. Koblenz gibt unheimlich viel her, mehr als die meisten vermuten. Allein die Südstadt gäbe viele Fotos her – und dort habe ich noch nicht viel fotografiert.

Planst du, wo du als nächstes mit Kamera unterwegs sein wirst oder entstehen die Bilder spontan?

Ich mache vieles vom Licht abhängig. Insofern ist es oft auch Planung. Wo könnte ich gut fotografieren und was? Diese Überlegungen mache ich mir.

Gibt es Dinge, die dir die Arbeit erschweren?

Nein. Gut, Luftaufnahmen sind immer ein leidiges Thema. Behördentelefonate und so. Aber ansonsten nichts.

Dieses Jahr hast du dich selbständig gemacht. War das eine Herausforderung?

Nicht nur in der Hochzeitsfotografie, ja. Ich mache auch Sachen für Firmen, Imagebilder beispielsweise. Es war aber eine Herausforderung, weil es viele Fotografen gibt. Da hat mir Schönes Koblenz einen Platz unter den Fotografen geschaffen und ich konnte mich etablieren.

Was inspiriert dich?

Andere Fotografen. Aber ich mache ihnen nichts nach, sondern interpretiere gerne. Bildkompositionen zum Beispiel. Mich interessiert außerdem, wie andere Fotografen mit Brautpaaren umgehen.

“Home-Office ist nichts für mich.”

Wie sieht ein typischer Tag von Henry Tornow aus?

Es gibt zwei typische Tage. (lächelt) Ich stehe auf und habe einen großen Auftrag. Bei Hochzeiten ist das etwa ab 11 oder 13 Uhr. Dort gebe ich alles. Wenn ich dann nach Hause komme, bin ich total fertig und falle ins Bett.

Und der andere typische Tag?

Das ist der Bildbearbeitungs- und E-Mail-Tag am Schreibtisch.

Ich habe gehört, du schaust dich gerade nach Coworking-Räumen um. Gefällt es dir im Home-Office nicht?

Home-Office ist nicht so das Richtige für mich.

Weil du dann nicht aufhören kannst?

Doch, das kann ich, aber dann mache ich nebenbei Privates am Rechner. Ein separater Arbeitsplatz hat eine andere Psychologie. Ich möchte zwischen Arbeit und Privatem besser trennen.

Und was machst du, wenn du mal nicht fotografierst?

Musik. Und ich bin gerne mit meinem Hund in der Natur.

Welches Projekt steht gerade bei dir an?

Der Kalender mit meinen Fotos. Das erste Ding, für das ich Schönes Koblenz benutzt habe. Eine schöne Erfahrung. Zum ersten Mal habe ich ein Produkt, nicht nur die Dienstleistung. Es ist etwas komplett anderes als auf einer Hochzeit zu fotografieren.

Gibt es etwas, das du im Sinn hast, aber wofür du noch Mitstreiter suchst?

Auf Anhieb nicht. Aber ich würde gerne wieder ein Projekt mit anderen machen. Die Idee, mit mehreren Fotografen etwas Neues auf die Beine zu stellen ist toll. Allerdings muss die Chemie stimmen. Ich bin kein Freund von Selbstdarstellung. Andere Fotobegeisterte sehen es anders. Also mir geht es um meine Bilder. Es soll weniger um mich gehen. Mit Fotografen, die das auch so sehen, könnte ich mir eine Zusammenarbeit vorstellen.

Wie würdest du dich selbst beschreiben?

Ich bin ein offener, spontaner Mensch. Wenn jemand Fragen an mich hat oder über Fotografie schnacken möchte, kann er mich gerne anschreiben.

Willst du mein aktuelles Lieblingsfoto sehen? (Klar, will ich! Und hier dürft auch ihr es sehen:)

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Koblenzer Stadtwald. (von Henry Tornow)

War es aufwendig, das Foto so hinzubekommen?

Nein. Ich gehe ohne bestimmte Absicht in den Wald und nehme die Kamera nur mit, um ein Foto machen zu können, falls sich etwas ergibt.

Also arbeitest du selten mit Stativ?

Genau. Ich arbeite ungern mit Stativ. Viel lieber trage ich die Kamera einfach bei mir und entscheide spontan.

Weißt du, man hat in Koblenz so viel Schönes zu entdecken! Direkt vor der Haustür.

Danke für das Gespräch, Henry.

Links:

Wir feige Gesellschaft

Glaubwürdigkeit - unsere feige GesellschaftDer Ruin unserer Gesellschaft schreitet von oben, unten, rechts und links voran. Ihr dürft die Worte variabel füllen und kommt stets zum aussagestarken Ergebnis. Beispiel: oben = Politik und unten = Wähler, oben = Wirtschaft und unten = Arbeitnehmer, oben = Erwachsene und unten = Kinder und Jugendliche. Für rechts und links funktioniert das genauso. Niemand kommt am anderen vorbei.

Wo gibt es ein Miteinander und wo ein Gegeneinander? Setzte man anstelle der Begriffe, Variablen ein, so ließen sich mathematische Formeln entwickeln, doch stünde dem stets Variable E im Weg: Emotionen. Wut, Hass, Angst, Abhängigkeit, Naivität – das sind nur einige wenige Beispiele für das, was hinter E stehen kann. Gefühle lassen sich nicht als Konstante in eine Rechnung einbauen und sind auch als Variable schwierig zu berücksichtigen. Sie entscheiden sogar darüber, wo oben und unten, rechts oder links ist. Und Gefühle sind exakt das, was zunehmend vergessen wird. In Politik, Gesellschaft, Schule, am Arbeitsplatz und überall, wo es um Zwischenmenschliches geht, wo Kommunikation stattfindet beziehungsweise stattfinden sollte und Entscheidungen auch für andere Menschen getroffen werden, fehlt es an Empathie, Gemeinschaftssinn und vor allem an Verantwortung.

Warum ich das schreibe? Viele Dinge regen mich auf – Beobachtungen in so unterschiedlichen Bereichen, dass es unmöglich ist, sie alle in einen Text zu packen. Und ich stelle fest, dass ich damit nicht alleine bin. Nicht wenige der Probleme, die mir andere anvertrauen, habe ich selbst auch, hatte sie vor einigen Jahren oder muss befürchten, dass sie noch auf mich zukommen werden. Im Geiste suche ich nach Beispielen dafür, dass es im Laufe der Jahre besser wird für wen und was auch immer.

Von Verantwortung und Vertrauen zur Glaubwürdigkeit

Verantwortung und Vertrauen sind die Kernpunkte in so ziemlich allem. Sie sind häufig der fehlende Teil eines Fundaments. Denn wer möchte heute noch konkret Verantwortung übernehmen? Verantwortung für ein Projekt, ein Team, ein Unternehmen, etc.? Und wer bringt tatsächlich genug Vertrauen seinen Mitarbeitern, dem Kollegium oder der Führung gegenüber auf? Daran scheint es auf allen Ebenen zu mangeln. Sogar als Konsumenten fragen wir uns, ob der Hersteller vertrauenswürdig ist oder wir nicht lieber das Produkt einer anderen Marke kaufen sollten. Ständig werden wir auf Pfusch, Manipulation, Verblendung und alles Schlechte hingewiesen. Fairtrade ist nicht immer fair, Abgaswerte werden gefälscht, Bio ist nicht immer bio, die angeblich flache Hierarchie am Arbeitsplatz ist nur nach außen flach, innovative Arbeitsmodelle stehen nur auf Papier und so weiter.

Privat und beruflich sind wir alle im Grunde mehr oder weniger überfordert, wenn es um die Kompetenz geht, möglichst gut entscheiden zu können, wem man vertrauen kann. Denn jeder darf sich irren, aber wer steht wirklich dazu? Wer steht zu seiner Meinung, den eigenen Fehlern, informiert, kümmert sich und übernimmt Verantwortung? Vermutlich nicht viele, aber diejenigen, die es tun, haben etwas verstanden: Glaubwürdigkeit ist essentiell.

Trend zur Empathie?

Wer glaubwürdig ist, dem lässt sich vertrauen. Dann kauft man seine Produkte oder Dienstleistungen, empfiehlt ihn weiter, wählt ihn als Politiker, mag ihn als Kollegen und überhaupt. Setzt das in einen Bereich Eurer Wahl ein – es gilt immer und überall. Vertrauen hängt mit Verantwortung(sbereitschaft) und Glaubwürdigkeit zusammen. Ich wünschte, wir hätten überall mehr davon. Doch das erfordert Mut, Empathie und Energie.

Verantwortung kann man nur dann ernsthaft (und im positiven Sinne) übernehmen, wenn man dazu bereit ist, sich in andere hineinzuversetzen, wirklich zuzuhören und auch andere Meinungen zuzulassen. Wichtig ist ebenfalls, am eigenen Horizont zu arbeiten und sich nicht beispielsweise hinter Klischees zu verstecken. Empathie spielt dabei eine entscheidende Rolle. Bitte nicht falsch verstehen, man muss nicht sofort weinen, wenn es dem Gegenüber schlecht geht – das würde niemandem helfen. Doch ich bin davon überzeugt, dass künftig zum Beispiel Arbeitgeber, Manager, etc., die nur profitorientiert handeln, an Attraktivität verlieren werden. Menschlichkeit ist in Zeiten von Umbrüchen – wie jetzt der digitalen Transformation – wichtiger denn je. Solange wir alle angstgesteuert agieren, unter Stress und permanenter Sorge stehen, bleibt wenig Platz für Empathie, ernsthafte Gespräche und sinnvolles, zukunftsorientiertes Handeln. Ist nicht immer häufiger der Satz „Angst ist kein guter Berater“ zu lesen? Furcht hat auch mit fehlendem Vertrauen zu tun. Dafür hat jeder von uns gewiss genug Gründe – auch gesellschaftlich und politisch betrachtet. Was in der Welt geschieht, macht nicht gerade mutig und zuversichtlich.

Wenn man sich bewusst macht, dass das meiste von dem, was falsch läuft, von uns Menschen gemacht ist, dann müsste man es – rein theoretisch – auch hinbekommen, dass sich daran etwas ändert. Im Kleinen lässt sich das privat und am Arbeitsplatz tun. Ich bin für mehr Empathie – nicht nur, weil es aktuell als Soft Skill in der Berufswelt an Bedeutung gewinnt. Ja, das ist mal ein Trend, der Sinn macht. Buzzwords, die mir nicht auf die Nerven gehen: Authentizität, Empathie, Glaubwürdigkeit. Die Frage ist nur, was man daraus tatsächlich macht und ob es wirklich von so vielen gewollt ist. Doch das ist ein anderes Thema.

 

Bettler: Ein Beruf mit Zukunft?

Verschlossene, überwucherte FensterlädenDie Caritas hat gestern einen kleinen Ratgeber zum Umgang mit bettelnden Menschen veröffentlicht. Den entsprechenden Artikel teilte heute einer meiner Kontakte auf Facebook. Ich las die 13 Tipps der Caritas-Redaktion, empfand widersprüchliche Gefühle und tippte einen Kommentar ab, den ich dann doch nicht postete. Denn einen so langen Kommentar wollte ich niemandem zumuten. Doch wofür hat man einen Blog? Darum jetzt hier meine Gedanken zum Thema.

Ich teile gerne, weil ich so erzogen wurde. Und wenn ich mal ausnahmsweise an einem bettelnden Menschen vorbeigehe, ohne etwas zu geben, sprechen mich meine Kinder darauf an. Die Realität sieht aber nunmal so aus, dass man nicht jedem der inzwischen erstaunlich vielen Bettler in der Stadt Geld geben kann. Und soviel, dass es wehtut? Hm, viele von uns spenden regelmäßig – ich u.a. für eine Krebsstiftung – und haben selbst auch kein überquellendes Konto. Wenn man die Zeitung aufschlägt oder die Blogs von beispielsweise Alleinerziehenden liest, weiß man, dass sich hierzulande immer mehr Familien nicht einmal gebrannte Mandeln auf dem Weihnachtsmarkt oder im Sommer Eis für die Kids leisten können. Vielleicht gehören sie trotzdem zu denjenigen, die ab und an einem Bettler etwas in Hut oder Dose werfen. Es ist doch meist so, dass gerade diejenigen, die selbst nicht allzu viel haben, gerne teilen.

Warum das Thema sonst noch schwierig ist? Manchmal frage ich mich zum Beispiel, ob die jungen (und fit wirkenden) Leute Anfang 20 tatsächlich unbedingt betteln müssen oder nicht vielleicht doch auch andere Möglichkeiten haben. Ich habe in dem Alter Schuhregale geputzt – zwar als Studentin, aber zum Angeben war dieser Job gewiss nichts. Trotzdem hat die Arbeit gutes Geld gebracht und mich froh gestimmt. Ich kenne nicht wenige kluge Frauen, die sich über ihren Putzjob freuen.

Schwierig ist das Thema aber auch wegen der negativen Erfahrungen, die man sammelt. Kürzlich sprach mich eine Bettlerin im Zug an. Sie wollte mir für zwei Euro eine Obdachlosenzeitung verkaufen. Ich gab ihr die zwei Euro (bis auf wenige Cent hatte ich keine weiteren Münzen bei mir), aber das genügte ihr plötzlich nicht. Sie sah, das ich mit Kind unterwegs war und meinte, als Mutter müsste ich ihr fünf Euro geben. Es war eine unangenehme Szene, da die Frau sehr aufdringlich agierte und mir meine Geldbörse am liebsten aus der Hand gerissen hätte (nein, da stand kein Hunderteuroschein ab). Plötzlich wurde mir klar, warum alle anderen im Zugabteil diese Frau von Anfang an ignoriert hatten. Ich war quasi der naive Neuling in der Regio-Bahn. „Das ist unverschämt“, sagte ich laut zu ihr. Erst als sie merkte, dass ich mir nicht alles gefallen lassen würde, gab sie nach, sah in den nächsten Waggon rüber und ging. Die Zeitung habe ich übrigens nicht bekommen.

Trotzdem beende ich den Kommentar ungern mit einem negativen Beispiel, denn unsere Gesellschaft ist viel zu egoistisch und man sollte die Bereitschaft zum Teilen fördern.

Im Caritas-Artikel wird aus einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung zitiert: „Mehr Arbeit ist offenbar keine Garantie für weniger Armut. Der Beschäftigungsaufwuchs in Deutschland beruht zu einem großen Teil auf dem Anwachsen der Teilzeitstellen, anderer atypischer Beschäftigungsverhältnisse sowie des Niedriglohnsektors insgesamt”.  Außerdem heißt es, dass häufig „aus armen Haushalten von Arbeitslosen arme Haushalte von Erwerbstätigen werden”, weil das Gehalt zu niedrig ist. Tja, wen überrascht das? Und wer sollte etwas daran ändern? Meiner Meinung nach, dürfte es so etwas nicht geben, dass ein Mensch den ganzen Tag arbeitet und trotzdem zu wenig zum Leben (für sich und seine Familie) hat. 2017! In einer modernen Gesellschaft, die sich als innovativ bezeichnen möchte! Nein, die Lösung ist nicht bei den Armen, Bettlern und emphatischen Fußgängern zu suchen. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem.

In Zukunft wird es nicht weniger, sondern mehr Arbeitslose und auch mehr Ausbeutung in jeglicher Form geben (da sind wir Menschen doch stets einfallsreich), daher müssen wir uns mit dem Thema Armut gründlich auseinandersetzen. Früher oder später wird es zu wenige geben, die noch etwas haben, das sie dem Bettler geben können. Oder wollen? Denn Wut und Verbitterung steigen ebenfalls. Was nach Schwarzmalerei klingen mag, ist nur ein kleiner Hinweis auf die zunehmend auseinander klaffende Schere unserer Gesellschaft. Es ist ein tiefergehendes Problem, dem man sich sowohl als Einzelner als auch als Gesellschaft und vor allem endlich mal auch in der Politik stellen muss. Geben und Nehmen – daraus besteht das Leben, aber wie kann und sollte das künftig aussehen? Statt 13 Tipps zum Umgang mit bettelnden Menschen, sollte es 13 Forderungen an die Politik geben.

Link: 13 Tipps für den Umgang mit bettelnden Menschen (caritas.de)

So denkt ein Teenager

Ein 17jähriger erklärte mir seine Welt. Er lag im Krankenhaus und teilte sich das Zimmer mit einem meiner Kinder. Als er nicht einschlafen konnte, begann er von seinem Freundeskreis und dem eigenen Leben zu erzählen.

„Wir suchen nach der wahren Liebe und um uns herum zerbricht alles.“

„Es ist alles so oberflächlich!“, beklagte er. „In der Schule finden immer nur diese Vergleiche statt. Wer ist cooler? Wer hat mehr sexuelle Erfahrungen gesammelt? Und immer nur Äußerlichkeiten. Außerdem muss alles schnell gehen. Längere Beziehungen sind uncool, aber diese kurzen Sachen machen einen nicht glücklich.“

Finn

Interessant, wenn solche Worte von einem zweifellos gefragten Jungen kommen. Groß, sichtbar sportlich und schlau – keine Frage, die meisten Mädchen mussten ihn attraktiv finden. Viel überraschender fand ich jedoch, dass er bei all seinen klugen Worten und gut erläuterten Klagen, nicht auf die Idee kam, auch Mädchen könnten mit so manchem Getue verletzt werden. Auf meinen Hinweis, für Mädchen seien die Situationen, die er beschrieb, auch nicht toll, reagierte er überrascht. „So wie du das sagst, habe ich es noch nicht gesehen. Vielleicht hast du recht.“ Kurze Pause. „Aber viele von ihnen machen einen auf billig. Ernsthaft. Die Mädchen erzählen sich sogar, mit wem von uns sich eine Nummer lohnt“, klärte er mich auf und blickte in sich gekehrt zur Decke. „Weißt du, mein Ziel ist, eine Partnerin zu haben, mit der ich alt werden kann. Es ist aber nicht einfach, so ein Mädchen zu finden.“ Während er sprach und ich dachte, dass er doch erst 17 sei und noch alle Zeit der Welt habe, der passenden Frau über den Weg zu laufen, wurde mir bewusst, dass ich in seinem Alter ähnlich dachte. Einiges verändert sich nicht. Egal wie die Gesellschaft ist, in der wir leben und wieviele Generationen dazwischen liegen, manche Bedürfnisse ändern sich nicht. Vieles von dem, was wir uns als Teenager wünschten, suchen auch die heutigen Jugendlichen. Was sich verändert, sind die Umstände – und diese wirken wiederum auf uns ein.

Finn unterbrach meine Gedanken. „Mensch, wir suchen sehnsüchtig nach der wahren Liebe und um uns herum zerbricht alles. So viele Eltern lassen sich scheiden und die Väter vernachlässigen uns. Du kannst dir nicht vorstellen, wie viele in meinem Freundeskreis schon Selbstmordgedanken hatten! Das Einzige, was mir Mut macht, ist der Blick auf meine Großeltern, die alt sind, sich aber immer noch lieben. Das sieht man! Die sind großartig.“

Man konnte Finns Kopf arbeiten hören. Er machte sich Sorgen um andere Teenager aus seiner Verwandtschaft und aus seinem Freundeskreis. „Ich weiß, wie es ist, wenn der eigene Vater sich keine Zeit für einen nimmt“, bemerkte er. „Inzwischen kann ich damit umgehen, aber ein kleines Mädchen – meine Cousine – ist noch zu jung, um damit klarzukommen. Ihr geht das Desinteresse ihres Vaters noch richtig unter die Haut. Die Eltern haben sich getrennt und der Vater will sie nicht sehen, weil sie das Gesicht ihrer Mutter hat. Er lebt inzwischen mit einer anderen Frau zusammen. Schlimm ist, dass er nur die Tochter nicht sehen will, aber die Söhne gerne an den Wochenenden zu sich nimmt. Erklär das mal diesem Mädchen! Weißt du, wie sich die Kleine fühlt? Ich bin der Einzige, auf dessen Meinung sie hört, weil ihr klar ist, dass ich Ähnliches erlebt habe. Deshalb versuche ich ihr Mut zu machen und zu erklären, dass ihr Lebensglück nicht von dem Typen abhängt.“ Wenn Finn von Scheidung und Beziehungen zwischen Kindern und ihren Eltern sprach, war er mit Leidenschaft dabei.

„Was mir Mut macht, ist ein Blick auf meine Großeltern.“

Finn erzählte jedoch nicht nur aus seinem Leben, sondern stellte mir auch Fragen. „Ist der Mann, der vorhin hier war, also dein Ehemann, der Vater deiner Kinder? Oder eines deiner Kinder?“ – „Von beiden“, gab ich zur Antwort und wunderte mich merklich über die Frage. „Hat mich nur so interesssiert. Ist ja nicht selbstverständlich“, erklärte er.

Wir unterhielten uns stundenlang. Es war seine letzte Nacht und meine erste Nacht im Krankenhaus. Während ich vor Sorge um mein Kind nicht schlafen konnte, hielt ihn die Vorfreude auf seine Entlassung wach. Endlich könnte er wieder Sport treiben. Vielleicht vertraute er mir auch deshalb so viel an, weil er dachte, dass ich im sozialen Bereich tätig und, wie er später erwähnte, „von Berufswegen Gesprächspartnerin für Jugendliche“ bin.

„Es hat gut getan, sich mal so richtig auszusprechen“, sagte er am nächsten Morgen. „Man kann nicht mit jedem so reden wie mit dir. Du solltest das irgendwie beruflich machen.“ Die spürbare Aufrichtigkeit seiner Worte tat gut. Auch mir hatte das Gespräch viel gebracht – nämlich einen Blick auf die Probleme der heutigen Jugend aus der Sicht eines Jungen. Nie hätte ich mit soviel Offenheit und Bedürfnis zu einem intensiven Gespräch gerechnet. Finn hatte mich überrascht.

Lustig wurde es aber auch – nicht zuletzt als im Laufe des Vormittages seine Mutter ins Zimmer kam. Die hübsche Frau wirkte kaum älter als ich. Sohn und Mama sahen sehr schön nebeneinander aus, wie Freunde. Als sie kurz den Raum verließ, um mit einer Krankenschwester zu sprechen, konnte ich mich nicht zurückhalten. „Finn, du hast eine sehr attraktive, junge Mutter“, sagte ich. Er machte große Augen. „Danke, hübsch ist sie, aber jung? Eher ziemlich alt. 39 schon!“

Ich lachte laut. „Das ist doch nicht alt!“

Er wirkte irritiert. „Wie alt bist du denn eigentlich?“

„37*.“

 

Wenig später verabschiedeten wir uns. Mit der Türklinke in der Hand, blickte Finn in den Raum zurück. „Man sieht sich zweimal im Leben.“

 

*Inzwischen bin ich 38. Das Gespräch liegt über ein Jahr zurück und war schon lange als Text auf meinem Laptop gespeichert. Kürzlich habe ich ihn zufällig entdeckt und nun mit Euch geteilt. Zu dem Titel hat übrigens mein Sohn geraten, der selbst fast ein Teenager ist.

Die Kassiererin, oder: Von Kundenfreundlichkeit zur Arbeitslosigkeit

KasseEntlassungen werden auch anders genannt und gerne umschmeichelnd beschrieben. Professionell, versteht sich. Doch ob man gefeuert oder lediglich ein Arbeitsvertrag nicht verlängert wird, macht keinen großen Unterschied. Im Endeffekt fällt nämlich eine Geldsumme weg, über die man sich nicht nur gefreut, sondern für die man auch Leistung erbracht hat. Man muss nicht selbst entlassen werden, um traurig zu sein, denn die Entlassungen anderer Menschen können uns ebenfalls konkret betreffen.

Es gibt da einen Spielzeugladen, der gut läuft und von vielen Eltern mit Kindern mindestens einmal pro Woche besucht wird. Nämlich immer dann, wenn ihre Kinder in der Nähe Sport treiben. Das ist täglich der Fall, nur die Familien wechseln. Ich bin alle paar Wochen da, wenn wir mal wieder Schulmaterial benötigen oder Kindergeburtstagspartys anstehen. Im besagten Laden arbeiten sehr nette Frauen. Wie es der Zufall will, stand mehrere Male stets eine ganz bestimmte Verkäuferin an der Kasse, wenn wir kamen. Sie unterhielt sich gerne mit meinem Nachwuchs, gab Tipps, informierte und war herzlich. Als ich eines Tages alleine vor ihr stand, weil mein Jüngstes im Sporttraining weilte und ich diese Zeit für einen Schnelleinkauf nutzen wollte, kam es zu einem unerwartet traurigen Gespräch.

„Demnächst werden Sie mich hier nicht mehr antreffen“, teilte mir die Kassiererin mit. „Mein Vertrag wurde nicht verlängert und ab kommendem Monat bin ich weg.“ Sie blickte traurig durch die große Fensterscheibe nach draußen. „Schauen Sie mal, wie es regnet. Heftig, dieser plötzliche Wetterwechsel, nicht wahr?“ Ich tat es ihr nach und schaute ebenfalls hinaus. Es goss in Strömen. Das war mir vorher gar nicht aufgefallen, doch nun war klar, dass ich in aller Ruhe mit ihr sprechen konnte, wenn ich nicht unbedingt komplett durchnässt an meinem Auto ankommen wollte.

„Was meinen Sie damit, dass Ihr Vertrag nicht verlängert wurde? Sie sind freundlich und zuvorkommend, tragen mit Ihrer Herzlichkeit dazu bei, dass man gerne hier ist – so eine Mitarbeiterin behält man.“ Nun lächelte mein Gegenüber ein wenig.

„Vielen Dank. Ja, ich arbeite seit mehreren Jahren hier – und sehr gerne! Mein Vertrag als Aushilfe wurde bereits zweimal verlängert und bei einer weiteren Verlängerung müssten die mir eine Festanstellung geben. Deshalb tun sie es nicht.“

Ich spürte Wut in mir aufsteigen. „Aber Sie können mir doch nicht erzählen, dass hier keine Verstärkung benötigt wird! Das Weihnachtsgeschäft steht quasi vor der Tür“, werfe ich ein und die Kassiererin nickt.

„Stimmt. Inzwischen kaufen die Leute viel mehr online, aber vor Weihnachten ist hier trotzdem viel los. Dafür wird dann bestimmt kurzfristig jemand engagiert. Eine neue Aushilfe.“ Die Frau seufzt. „Mir geht es nicht einmal so sehr um das Geld, sondern viel mehr um die Aufgabe. Mein Mann verdient gut, ist aber natürlich viel auf der Arbeit und unser Kind ist schon ein Teenager. Ich werde bis zum späten Nachmittag alleine zu Hause sitzen müssen. Da werde ich noch verrückt! Gerade bei dem dunklen Herbst- und Winterwetter!“ Sie blickte wieder nach draußen. Es regnete inzwischen nicht mehr so stark, aber der Himmel war für die Tageszeit ungewohnt dunkel. Ja, die Hochsaison der Depressionen rückte immer näher.

„Es tut mir sehr leid. Ich habe Sie hier stets gerne angetroffen“, sagte ich. Wir wechselten noch einige kurze Sätze und ich verließ den Laden, um meinen Nachwuchs vom Sport abzuholen.

Während ich die erlebte Szene abtippe, bin ich traurig. Online einzukaufen macht häufig Sinn, weil der Kundenservice in vielen Geschäften leider miserabel ist. Verkäufer, die sich verstecken oder keine Ahnung von den Produkten haben, scheinen die Regel zu sein. Doch dort, wo man noch gut beraten wird und menschliche Wärme erfährt, spricht alles für einen Einkauf vor Ort. Mitarbeiter in Geschäften oder Dienstleister allgemein, die etwas von Kundenfreundlichkeit und Kundenservice verstehen, müssen Anerkennung erhalten. Ja, es macht mich traurig, immer wieder Beispiele dafür zu erfahren und zu erleben, dass sich die Dinge in der Berufswelt weiterhin in die falsche Richtung bewegen.

Auch die Tatsache, dass man Arbeit sowohl wegen des Geldes als auch wegen der Beschäftigung braucht, wird häufig unterschätzt. Inzwischen kenne ich mehr als genug Menschen, die aufgrund von Arbeitslosigkeit psychisch erkrankt sind.

Besagter Kassiererin wünsche ich alles Gute und hoffe, dass nicht noch weitere Mitarbeiterinnen ihren Job in diesem Spielzeugladen verloren haben.