Stell dir vor, es ist Freibad und keiner geht hin

Ein seltsamer Titel für ein ungewöhnliches Erlebnis. Kaum dass die Sommerferien beginnen, überlegt man sich als Familie, was man gemeinsam unternehmen könnte und landet früher oder später im Schwimmbad. Bei gutem Wetter gerne im Freibad. Am besten in einer besonders schön angelegten Poollandschaft. Meist kommen dummerweise viele Familien auf diese geniale Idee, so dass man sich auf dem Badelacken oder der Picknickdecke schließlich fühlt, wie eine Sardine in der Dose. Eigentlich.

Freibad

Stell Dir vor, Du kommst ins Freibad und niemand ist da. Im Sommer. Bei über 25° Celsius. So stand ich kürzlich samt Mann und Kids an der Kasse eines Freizeitbades und staunte. Ein Blick durch die Fensterscheibe nach draußen verriet uns, dass auf der Wiese kein Mensch zu sehen war und in einem der Becken lediglich zwei Personen plantschten. Durch eine Glaswand konnten wir ins Hallenbad schauen und verblüfft feststellen, dass auch dort lediglich eine Handvoll Leute badete. Sommerferien in einem Touristenort. Mit einer Jugendherberge nebenan und einem Freizeitpark quasi um die Ecke. Was war bloß los? Zugegeben, die Wettervorhersage war für diesen Tag etwas schwammig: Regenwahrscheinlichkeit 40 %, gelegentlich eventuell kurzes und leichtes Gewitter. Doch laut Smartphone war das Gewitter bereits vorbeigezogen und die Temperaturen sprachen ebenfalls für Wasserspaß im Freien. Aller Menschenleere zum Trotz entschieden wir uns daher für die Outdoor-Variante, kauften das günstige Familienticket und begaben uns nach draußen. Das Freibad gehörte uns. Vom Baby- bis zum Schwimmerbecken. Die ganze Wiese samt großen Sonnenschirmen, Spielplatz und mehreren Beachvolleyballplätzen. Alles. Wir hatten sogar eine Wasserrutsche sowie einen Bademeister nur für uns allein. Na gut, der war nicht nur für uns, sondern auch für die vier anderen Personen da. Eine Oma mit Enkelin spielten im Wasser und zwei große Teenager lagen auf einem Hügel im Gras.

Als Familie konnten wir uns herrlich ausbreiten. Nie zuvor hatten wir derart viel Platz für Ballspiele im Wasser gehabt. Immerzu mussten wir laut lachen, so großartig war das. Wo wir uns sonst stets zwischen den Leuten Platz erkämpfen mussten, um einen Ball überhaupt werfen zu können, konnten wir diesmal machen, was wir wollten. Und während wir draußen die große Freiheit erlebten, sahen wir durch eine Scheibe, wie sich nebenan im Hallenbad die Räume füllten. Hach, bei uns schien die Sonne, das Wasser spritzte und das grandiose Bergpanorama toppte noch den Genuss. Wann hat man die Wasserrutsche für sich allein? Wann sonst kann man in Ruhe seine Bahnen schwimmen? Im Freibad, im Sommer, in den Sommerferien, bei gutem Wetter? Ihr habt recht, das kann es gar nicht geben. Jedenfalls nicht dauerhaft. Nach etwa einer Stunde änderte sich die Sachlage auf Knopfdruck. Wir hörten sie kommen, bevor wir sie sahen. Ihre Stimmen hallten durchs Moseltal.

80 bis 100 Kinder und Jugendliche stürmten auf einmal das Freibadgelände. Als Kette hielten sich jeweils acht von ihnen aneinander und rutschten so ins Spielbecken. Andere sprangen direkt ins Wasser und gaben lautstark ihre Freude kund. Knapp 20 von ihnen liefen vor Freude brüllend direkt zum Schwimmerbecken und etwa 30 versammelten sich an der Sprunganlage. Die Lautstärke der Gruppe lässt sich nicht in Worte fassen, das Chaos ebenso wenig. Trotz eines plötzlich kühlen Windes und zwischendurch unangenehm bewölkten Himmels, verhielt sich die Menschenmenge, als feiere man eine wilde Party auf einer tropischen Insel. Während uns etwas kalt wurde, jauchzten die Teens und Kids vor Freude. Schnell stand fest: das konnten keine Deutschen sein. Richtig, es waren Briten. So frei sie sich untereinander verhielten, so vorsichtig gingen sie mit uns Außenstehenden um. Sie ließen uns weiterhin viel Platz für Ballspiele oder was auch immer wir gerade tun wollten. Wie laut sie auch sein mochten, so fühlten wir uns nicht gestört. Allerdings wusste der Bademeister zwischendurch nicht weiter, denn zu seinem Leidwesen war anfangs keine einzige Aufsichtsperson in Sicht.

Nach etwa drei Stunden legten sich die Mitglieder dieser Reisegruppe auf ihre Handtücher und ließen sich lange von der Sonne trocknen. Danach gingen sie Richtung Ausgang. Auch wir packten unsere Sachen, da es immer kälter wurde. An den Umkleiden trafen wir die Gruppe wieder und sahen sie schließen in zwei riesigen Reisebussen wegfahren. Kaum, dass wir das Schwimmbad verlassen hatten, begann es wie aus Eimern zu regnen. Gutes Timing ist alles.

Sonst noch Wünsche?

20180404_165231Im Vorbeigehen sah ich hinter hohen, noch herbstlich anmutenden Pflanzen bunte Bänder im Wind flattern. Neugierig ging ich näher heran und blickte zwischen den Ästen hindurch. Keine Zweifel, es war ein Wunschbaum.

Nicht nur bunte Bänder, sondern auch Papierseiten, Stofffetzen und so ziemlich alles, worauf sich schreiben lässt, hing an diesem Baum. Wenige Meter weiter wies ein befestigtes Schild die Besucher darauf hin, dass es sich hierbei um einen Wunschbaum handele und jeder dazu eingeladen sei, auch seine Wünsche daran zu befestigen. Dazu verspürte ich zwar kein Verlangen, doch neugierig war ich durchaus. Was sich andere Menschen wohl wünschten? Ich verrate es euch.

Bei nahezu jedem dritten Wunsch handelt es sich um „Weltfrieden“ oder „Pferd“. Gerne auch „Pferd oder Fohlen mit Zubehör“. Nicht alle Wünsche sind auf deutsch formuliert, doch sogar in mir ganz fremden Sprachen kann ich das Wort „iPhone“ verstehen. Tatsächlich scheinen sich nicht wenige Menschen nach Gegenständen der Marken Apple und Nerf zu sehnen.

Neben derartigen Wünschen, sind dort jedoch auch sehr rührende zu lesen. So wünscht sich beispielsweise jemand, er möge „fürs Umfeld keine Belastung mehr sein und endlich bald gesund werden“.

Zwei Wünsche habe ich für Euch fotografiert, weil sie in ganz andere Richtungen gehen und mich zum Lachen gebracht haben.

Wunsch am Wunschbaum
Männer! 🙂

 

Wackelzahn-Wunsch am Wunschbaum
Das wird sich vermutlich kein Opa gewünscht haben.

So viel zu den Wünschen anderer Leute. Bestimmt habt auch Ihr einiges auf dem Herzen. Mir persönlich sind Gegenstände ziemlich gleichgültig. Ich kann mich zwar an schönen Dingen erfreuen und genieße sie durchaus, aber meine Wünsche haben stets mit Menschen zu tun. Mit ihrer Gesundheit zum Beispiel. An einen Baum habe ich noch nie Wünsche befestigt. Das ist nicht meine Art. Außer, es ginge um einen Witz, dann würde ich mir etwas Lustiges einfallen lassen. Ansonsten haben Wünsche, wenn sie ernst gemeint sind und sich nicht auf Gegenstände beziehen, doch eigentlich etwas mit Glauben zu tun, meint Ihr nicht?

Kürzlich haben wir Ostern gefeiert. Das Fest gilt als Nachricht, die unser Leben erhellt und zeigt, dass der Tod nicht unser Ende bedeutet. Da die Osterzeit noch nicht vorbei ist, wünsche ich euch noch frohe Ostern und ganz viel Licht in Eurem Leben.

Frau Welke shoppt auf dem Sofa

Auf dem SofaWann immer man an ihrem Fenster vorbeispaziert, sieht man Frau Welke auf dem Sofa sitzen. Ab und an sitzt sie auch am Küchentisch. Oder am Esstisch im Wohnzimmer. Seien wir nicht kleinlich: sie sitzt. Gleichgültig wo. Aber mit Laptop. Jedes Mal mit Laptop. Dann sitzt sie da, am Tisch oder auf dem Sofa, starrt auf den Monitor ihres Laptops und shoppt.

Sie shoppt im Internet surfend Klamotten. Oder Handtaschen. Erst neulich hatte sie mal wieder eine neue Tasche im Arm, als sie rüber zur Metzgerei acht frische Mettwürstchen und einen Rinderbraten kaufen ging. Hat man gesehen. Zufällig. Frau Welke shoppt also Klamotten und Handtaschen. Am Laptop.

Und diese komischen neuen Schuhe, die sie zum Joggen anzieht. Frau Welke shoppt also auch Schuhe. Sie shoppt Kleidung, Handtaschen und Schuhe am Laptop. Täglich.

Erst gestern stellte sie wieder neue Blumentöpfe auf die Fensterbank ihres Schlafzimmers. Weiße, zwischen die Blauen. Weiß, blau, weiß, blau. Frau Welke shoppt Kleidung, Handtaschen, Schuhe und Blumentöpfe im Internet. Sitzend. Täglich.

Heute früh hat sie eine Holzfigur vors Haus gestellt und ein Dekoherz ins Küchenfenster gehängt. Frau Welke shoppt also auch Deko im Internet. Am Laptop. Auf dem Sofa. Die ganze Zeit.

Von morgens bis knapp um zwölf. Dann muss sie ihre Kinder aus der Schule abholen. Frau Welke shoppt täglich den halben Tag. Sitzend. Am Laptop.

Jeder, der am Fenster vorbeigeht, kann es sehen. Sie sitzt. Am Tisch oder auf dem Sofa. Sie surft die ganze Zeit und shoppt Sachen. Sie shoppt Kleidung, Handtaschen, Schuhe, Blumentöpfe und Deko.

Wer weiß, vielleicht hat sie auch ihre Kinder geshoppt. Am Laptop. Im Internet.

Woher die Familie wohl so viel Geld hat? Zwei große Autos, zwei Kinder, zwei Haustiere und viele Reisen. Sie shoppt also auch Reisen. Frau Welke shoppt Kleidung, Handtaschen, Schuhe, Blumentöpfe, Deko, Haustiere, Kinder und Reisen. Täglich.

Frau Welke ist ein unheimlicher Mensch. Sie sagt, sie arbeitet im Homeoffice. So nennt man es also, wenn man nur dasitzt. Zu Hause. Am Laptop. Und shoppt.

 

(Zu diesem Text inspirierte mich ein Gespräch mit meiner Freundin Ute, die seit Jahren im Homeoffice arbeitet. „Wer an meinem Haus vorbeigeht, sieht mich immer am Laptop sitzen. Die Leute denken: Sie shoppt schon wieder“, erzählte die erfolgreiche Businessfrau schmunzelnd. Während ich heute am Küchentisch einen Artikel verfasste und aus dem Fenster blickte, fiel mir das Gespräch wieder ein.)

Alltagsschnipsel: Kleingedrucktes beim Augenarzt

Beim AugenarztAugenarztpraxis. Am Empfang steht ein alter, gekrümmter Mann. Er lehnt an der Theke, während eine junge Mitarbeiterin seine Daten in den iMac eingibt.

“Haben Sie eine Begleitperson dabei?”, fragt sie.

Der Patient schüttelt leicht den Kopf. “Nein, ich bin alleine hier.”  

“Aber Sie wissen ja, dass heute unter anderem die Untersuchung geplant ist, für die Ihnen Augentropfen verabreicht werden. Acht Stunden werden Sie nicht richtig sehen können!”, klärt die Dame ihn auf.

“Oh, das war mir leider nicht klar.”

“Warum nicht? Es steht doch auf dem Kärtchen, das Sie dabei haben!”

Die junge Frau nimmt ihm das etwa 4x5cm kleine, vollgedruckte Kärtchen aus der Hand und deutet auf einen Satz am unteren Ende. Kleingedrucktes.

Der alte Mann scheint sich nach einer Lupe umzusehen. Ratlos kneift er schließlich die Augen zusammen und blickt angestrengt auf die Zeile. “Das tut mir sehr leid”, entschuldigt er sich freundlich.

“Nun gut”, meint die Empfangsdame, “dann machen wir das mit den Tropfen beim nächsten Mal.”

Wir feige Gesellschaft

Glaubwürdigkeit - unsere feige GesellschaftDer Ruin unserer Gesellschaft schreitet von oben, unten, rechts und links voran. Ihr dürft die Worte variabel füllen und kommt stets zum aussagestarken Ergebnis. Beispiel: oben = Politik und unten = Wähler, oben = Wirtschaft und unten = Arbeitnehmer, oben = Erwachsene und unten = Kinder und Jugendliche. Für rechts und links funktioniert das genauso. Niemand kommt am anderen vorbei.

Wo gibt es ein Miteinander und wo ein Gegeneinander? Setzte man anstelle der Begriffe, Variablen ein, so ließen sich mathematische Formeln entwickeln, doch stünde dem stets Variable E im Weg: Emotionen. Wut, Hass, Angst, Abhängigkeit, Naivität – das sind nur einige wenige Beispiele für das, was hinter E stehen kann. Gefühle lassen sich nicht als Konstante in eine Rechnung einbauen und sind auch als Variable schwierig zu berücksichtigen. Sie entscheiden sogar darüber, wo oben und unten, rechts oder links ist. Und Gefühle sind exakt das, was zunehmend vergessen wird. In Politik, Gesellschaft, Schule, am Arbeitsplatz und überall, wo es um Zwischenmenschliches geht, wo Kommunikation stattfindet beziehungsweise stattfinden sollte und Entscheidungen auch für andere Menschen getroffen werden, fehlt es an Empathie, Gemeinschaftssinn und vor allem an Verantwortung.

Warum ich das schreibe? Viele Dinge regen mich auf – Beobachtungen in so unterschiedlichen Bereichen, dass es unmöglich ist, sie alle in einen Text zu packen. Und ich stelle fest, dass ich damit nicht alleine bin. Nicht wenige der Probleme, die mir andere anvertrauen, habe ich selbst auch, hatte sie vor einigen Jahren oder muss befürchten, dass sie noch auf mich zukommen werden. Im Geiste suche ich nach Beispielen dafür, dass es im Laufe der Jahre besser wird für wen und was auch immer.

Von Verantwortung und Vertrauen zur Glaubwürdigkeit

Verantwortung und Vertrauen sind die Kernpunkte in so ziemlich allem. Sie sind häufig der fehlende Teil eines Fundaments. Denn wer möchte heute noch konkret Verantwortung übernehmen? Verantwortung für ein Projekt, ein Team, ein Unternehmen, etc.? Und wer bringt tatsächlich genug Vertrauen seinen Mitarbeitern, dem Kollegium oder der Führung gegenüber auf? Daran scheint es auf allen Ebenen zu mangeln. Sogar als Konsumenten fragen wir uns, ob der Hersteller vertrauenswürdig ist oder wir nicht lieber das Produkt einer anderen Marke kaufen sollten. Ständig werden wir auf Pfusch, Manipulation, Verblendung und alles Schlechte hingewiesen. Fairtrade ist nicht immer fair, Abgaswerte werden gefälscht, Bio ist nicht immer bio, die angeblich flache Hierarchie am Arbeitsplatz ist nur nach außen flach, innovative Arbeitsmodelle stehen nur auf Papier und so weiter.

Privat und beruflich sind wir alle im Grunde mehr oder weniger überfordert, wenn es um die Kompetenz geht, möglichst gut entscheiden zu können, wem man vertrauen kann. Denn jeder darf sich irren, aber wer steht wirklich dazu? Wer steht zu seiner Meinung, den eigenen Fehlern, informiert, kümmert sich und übernimmt Verantwortung? Vermutlich nicht viele, aber diejenigen, die es tun, haben etwas verstanden: Glaubwürdigkeit ist essentiell.

Trend zur Empathie?

Wer glaubwürdig ist, dem lässt sich vertrauen. Dann kauft man seine Produkte oder Dienstleistungen, empfiehlt ihn weiter, wählt ihn als Politiker, mag ihn als Kollegen und überhaupt. Setzt das in einen Bereich Eurer Wahl ein – es gilt immer und überall. Vertrauen hängt mit Verantwortung(sbereitschaft) und Glaubwürdigkeit zusammen. Ich wünschte, wir hätten überall mehr davon. Doch das erfordert Mut, Empathie und Energie.

Verantwortung kann man nur dann ernsthaft (und im positiven Sinne) übernehmen, wenn man dazu bereit ist, sich in andere hineinzuversetzen, wirklich zuzuhören und auch andere Meinungen zuzulassen. Wichtig ist ebenfalls, am eigenen Horizont zu arbeiten und sich nicht beispielsweise hinter Klischees zu verstecken. Empathie spielt dabei eine entscheidende Rolle. Bitte nicht falsch verstehen, man muss nicht sofort weinen, wenn es dem Gegenüber schlecht geht – das würde niemandem helfen. Doch ich bin davon überzeugt, dass künftig zum Beispiel Arbeitgeber, Manager, etc., die nur profitorientiert handeln, an Attraktivität verlieren werden. Menschlichkeit ist in Zeiten von Umbrüchen – wie jetzt der digitalen Transformation – wichtiger denn je. Solange wir alle angstgesteuert agieren, unter Stress und permanenter Sorge stehen, bleibt wenig Platz für Empathie, ernsthafte Gespräche und sinnvolles, zukunftsorientiertes Handeln. Ist nicht immer häufiger der Satz „Angst ist kein guter Berater“ zu lesen? Furcht hat auch mit fehlendem Vertrauen zu tun. Dafür hat jeder von uns gewiss genug Gründe – auch gesellschaftlich und politisch betrachtet. Was in der Welt geschieht, macht nicht gerade mutig und zuversichtlich.

Wenn man sich bewusst macht, dass das meiste von dem, was falsch läuft, von uns Menschen gemacht ist, dann müsste man es – rein theoretisch – auch hinbekommen, dass sich daran etwas ändert. Im Kleinen lässt sich das privat und am Arbeitsplatz tun. Ich bin für mehr Empathie – nicht nur, weil es aktuell als Soft Skill in der Berufswelt an Bedeutung gewinnt. Ja, das ist mal ein Trend, der Sinn macht. Buzzwords, die mir nicht auf die Nerven gehen: Authentizität, Empathie, Glaubwürdigkeit. Die Frage ist nur, was man daraus tatsächlich macht und ob es wirklich von so vielen gewollt ist. Doch das ist ein anderes Thema.

 

Bettler: Ein Beruf mit Zukunft?

Verschlossene, überwucherte FensterlädenDie Caritas hat gestern einen kleinen Ratgeber zum Umgang mit bettelnden Menschen veröffentlicht. Den entsprechenden Artikel teilte heute einer meiner Kontakte auf Facebook. Ich las die 13 Tipps der Caritas-Redaktion, empfand widersprüchliche Gefühle und tippte einen Kommentar ab, den ich dann doch nicht postete. Denn einen so langen Kommentar wollte ich niemandem zumuten. Doch wofür hat man einen Blog? Darum jetzt hier meine Gedanken zum Thema.

Ich teile gerne, weil ich so erzogen wurde. Und wenn ich mal ausnahmsweise an einem bettelnden Menschen vorbeigehe, ohne etwas zu geben, sprechen mich meine Kinder darauf an. Die Realität sieht aber nunmal so aus, dass man nicht jedem der inzwischen erstaunlich vielen Bettler in der Stadt Geld geben kann. Und soviel, dass es wehtut? Hm, viele von uns spenden regelmäßig – ich u.a. für eine Krebsstiftung – und haben selbst auch kein überquellendes Konto. Wenn man die Zeitung aufschlägt oder die Blogs von beispielsweise Alleinerziehenden liest, weiß man, dass sich hierzulande immer mehr Familien nicht einmal gebrannte Mandeln auf dem Weihnachtsmarkt oder im Sommer Eis für die Kids leisten können. Vielleicht gehören sie trotzdem zu denjenigen, die ab und an einem Bettler etwas in Hut oder Dose werfen. Es ist doch meist so, dass gerade diejenigen, die selbst nicht allzu viel haben, gerne teilen.

Warum das Thema sonst noch schwierig ist? Manchmal frage ich mich zum Beispiel, ob die jungen (und fit wirkenden) Leute Anfang 20 tatsächlich unbedingt betteln müssen oder nicht vielleicht doch auch andere Möglichkeiten haben. Ich habe in dem Alter Schuhregale geputzt – zwar als Studentin, aber zum Angeben war dieser Job gewiss nichts. Trotzdem hat die Arbeit gutes Geld gebracht und mich froh gestimmt. Ich kenne nicht wenige kluge Frauen, die sich über ihren Putzjob freuen.

Schwierig ist das Thema aber auch wegen der negativen Erfahrungen, die man sammelt. Kürzlich sprach mich eine Bettlerin im Zug an. Sie wollte mir für zwei Euro eine Obdachlosenzeitung verkaufen. Ich gab ihr die zwei Euro (bis auf wenige Cent hatte ich keine weiteren Münzen bei mir), aber das genügte ihr plötzlich nicht. Sie sah, das ich mit Kind unterwegs war und meinte, als Mutter müsste ich ihr fünf Euro geben. Es war eine unangenehme Szene, da die Frau sehr aufdringlich agierte und mir meine Geldbörse am liebsten aus der Hand gerissen hätte (nein, da stand kein Hunderteuroschein ab). Plötzlich wurde mir klar, warum alle anderen im Zugabteil diese Frau von Anfang an ignoriert hatten. Ich war quasi der naive Neuling in der Regio-Bahn. „Das ist unverschämt“, sagte ich laut zu ihr. Erst als sie merkte, dass ich mir nicht alles gefallen lassen würde, gab sie nach, sah in den nächsten Waggon rüber und ging. Die Zeitung habe ich übrigens nicht bekommen.

Trotzdem beende ich den Kommentar ungern mit einem negativen Beispiel, denn unsere Gesellschaft ist viel zu egoistisch und man sollte die Bereitschaft zum Teilen fördern.

Im Caritas-Artikel wird aus einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung zitiert: „Mehr Arbeit ist offenbar keine Garantie für weniger Armut. Der Beschäftigungsaufwuchs in Deutschland beruht zu einem großen Teil auf dem Anwachsen der Teilzeitstellen, anderer atypischer Beschäftigungsverhältnisse sowie des Niedriglohnsektors insgesamt”.  Außerdem heißt es, dass häufig „aus armen Haushalten von Arbeitslosen arme Haushalte von Erwerbstätigen werden”, weil das Gehalt zu niedrig ist. Tja, wen überrascht das? Und wer sollte etwas daran ändern? Meiner Meinung nach, dürfte es so etwas nicht geben, dass ein Mensch den ganzen Tag arbeitet und trotzdem zu wenig zum Leben (für sich und seine Familie) hat. 2017! In einer modernen Gesellschaft, die sich als innovativ bezeichnen möchte! Nein, die Lösung ist nicht bei den Armen, Bettlern und emphatischen Fußgängern zu suchen. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem.

In Zukunft wird es nicht weniger, sondern mehr Arbeitslose und auch mehr Ausbeutung in jeglicher Form geben (da sind wir Menschen doch stets einfallsreich), daher müssen wir uns mit dem Thema Armut gründlich auseinandersetzen. Früher oder später wird es zu wenige geben, die noch etwas haben, das sie dem Bettler geben können. Oder wollen? Denn Wut und Verbitterung steigen ebenfalls. Was nach Schwarzmalerei klingen mag, ist nur ein kleiner Hinweis auf die zunehmend auseinander klaffende Schere unserer Gesellschaft. Es ist ein tiefergehendes Problem, dem man sich sowohl als Einzelner als auch als Gesellschaft und vor allem endlich mal auch in der Politik stellen muss. Geben und Nehmen – daraus besteht das Leben, aber wie kann und sollte das künftig aussehen? Statt 13 Tipps zum Umgang mit bettelnden Menschen, sollte es 13 Forderungen an die Politik geben.

Link: 13 Tipps für den Umgang mit bettelnden Menschen (caritas.de)

So denkt ein Teenager

Ein 17jähriger erklärte mir seine Welt. Er lag im Krankenhaus und teilte sich das Zimmer mit einem meiner Kinder. Als er nicht einschlafen konnte, begann er von seinem Freundeskreis und dem eigenen Leben zu erzählen.

„Wir suchen nach der wahren Liebe und um uns herum zerbricht alles.“

„Es ist alles so oberflächlich!“, beklagte er. „In der Schule finden immer nur diese Vergleiche statt. Wer ist cooler? Wer hat mehr sexuelle Erfahrungen gesammelt? Und immer nur Äußerlichkeiten. Außerdem muss alles schnell gehen. Längere Beziehungen sind uncool, aber diese kurzen Sachen machen einen nicht glücklich.“

Finn

Interessant, wenn solche Worte von einem zweifellos gefragten Jungen kommen. Groß, sichtbar sportlich und schlau – keine Frage, die meisten Mädchen mussten ihn attraktiv finden. Viel überraschender fand ich jedoch, dass er bei all seinen klugen Worten und gut erläuterten Klagen, nicht auf die Idee kam, auch Mädchen könnten mit so manchem Getue verletzt werden. Auf meinen Hinweis, für Mädchen seien die Situationen, die er beschrieb, auch nicht toll, reagierte er überrascht. „So wie du das sagst, habe ich es noch nicht gesehen. Vielleicht hast du recht.“ Kurze Pause. „Aber viele von ihnen machen einen auf billig. Ernsthaft. Die Mädchen erzählen sich sogar, mit wem von uns sich eine Nummer lohnt“, klärte er mich auf und blickte in sich gekehrt zur Decke. „Weißt du, mein Ziel ist, eine Partnerin zu haben, mit der ich alt werden kann. Es ist aber nicht einfach, so ein Mädchen zu finden.“ Während er sprach und ich dachte, dass er doch erst 17 sei und noch alle Zeit der Welt habe, der passenden Frau über den Weg zu laufen, wurde mir bewusst, dass ich in seinem Alter ähnlich dachte. Einiges verändert sich nicht. Egal wie die Gesellschaft ist, in der wir leben und wieviele Generationen dazwischen liegen, manche Bedürfnisse ändern sich nicht. Vieles von dem, was wir uns als Teenager wünschten, suchen auch die heutigen Jugendlichen. Was sich verändert, sind die Umstände – und diese wirken wiederum auf uns ein.

Finn unterbrach meine Gedanken. „Mensch, wir suchen sehnsüchtig nach der wahren Liebe und um uns herum zerbricht alles. So viele Eltern lassen sich scheiden und die Väter vernachlässigen uns. Du kannst dir nicht vorstellen, wie viele in meinem Freundeskreis schon Selbstmordgedanken hatten! Das Einzige, was mir Mut macht, ist der Blick auf meine Großeltern, die alt sind, sich aber immer noch lieben. Das sieht man! Die sind großartig.“

Man konnte Finns Kopf arbeiten hören. Er machte sich Sorgen um andere Teenager aus seiner Verwandtschaft und aus seinem Freundeskreis. „Ich weiß, wie es ist, wenn der eigene Vater sich keine Zeit für einen nimmt“, bemerkte er. „Inzwischen kann ich damit umgehen, aber ein kleines Mädchen – meine Cousine – ist noch zu jung, um damit klarzukommen. Ihr geht das Desinteresse ihres Vaters noch richtig unter die Haut. Die Eltern haben sich getrennt und der Vater will sie nicht sehen, weil sie das Gesicht ihrer Mutter hat. Er lebt inzwischen mit einer anderen Frau zusammen. Schlimm ist, dass er nur die Tochter nicht sehen will, aber die Söhne gerne an den Wochenenden zu sich nimmt. Erklär das mal diesem Mädchen! Weißt du, wie sich die Kleine fühlt? Ich bin der Einzige, auf dessen Meinung sie hört, weil ihr klar ist, dass ich Ähnliches erlebt habe. Deshalb versuche ich ihr Mut zu machen und zu erklären, dass ihr Lebensglück nicht von dem Typen abhängt.“ Wenn Finn von Scheidung und Beziehungen zwischen Kindern und ihren Eltern sprach, war er mit Leidenschaft dabei.

„Was mir Mut macht, ist ein Blick auf meine Großeltern.“

Finn erzählte jedoch nicht nur aus seinem Leben, sondern stellte mir auch Fragen. „Ist der Mann, der vorhin hier war, also dein Ehemann, der Vater deiner Kinder? Oder eines deiner Kinder?“ – „Von beiden“, gab ich zur Antwort und wunderte mich merklich über die Frage. „Hat mich nur so interesssiert. Ist ja nicht selbstverständlich“, erklärte er.

Wir unterhielten uns stundenlang. Es war seine letzte Nacht und meine erste Nacht im Krankenhaus. Während ich vor Sorge um mein Kind nicht schlafen konnte, hielt ihn die Vorfreude auf seine Entlassung wach. Endlich könnte er wieder Sport treiben. Vielleicht vertraute er mir auch deshalb so viel an, weil er dachte, dass ich im sozialen Bereich tätig und, wie er später erwähnte, „von Berufswegen Gesprächspartnerin für Jugendliche“ bin.

„Es hat gut getan, sich mal so richtig auszusprechen“, sagte er am nächsten Morgen. „Man kann nicht mit jedem so reden wie mit dir. Du solltest das irgendwie beruflich machen.“ Die spürbare Aufrichtigkeit seiner Worte tat gut. Auch mir hatte das Gespräch viel gebracht – nämlich einen Blick auf die Probleme der heutigen Jugend aus der Sicht eines Jungen. Nie hätte ich mit soviel Offenheit und Bedürfnis zu einem intensiven Gespräch gerechnet. Finn hatte mich überrascht.

Lustig wurde es aber auch – nicht zuletzt als im Laufe des Vormittages seine Mutter ins Zimmer kam. Die hübsche Frau wirkte kaum älter als ich. Sohn und Mama sahen sehr schön nebeneinander aus, wie Freunde. Als sie kurz den Raum verließ, um mit einer Krankenschwester zu sprechen, konnte ich mich nicht zurückhalten. „Finn, du hast eine sehr attraktive, junge Mutter“, sagte ich. Er machte große Augen. „Danke, hübsch ist sie, aber jung? Eher ziemlich alt. 39 schon!“

Ich lachte laut. „Das ist doch nicht alt!“

Er wirkte irritiert. „Wie alt bist du denn eigentlich?“

„37*.“

 

Wenig später verabschiedeten wir uns. Mit der Türklinke in der Hand, blickte Finn in den Raum zurück. „Man sieht sich zweimal im Leben.“

 

*Inzwischen bin ich 38. Das Gespräch liegt über ein Jahr zurück und war schon lange als Text auf meinem Laptop gespeichert. Kürzlich habe ich ihn zufällig entdeckt und nun mit Euch geteilt. Zu dem Titel hat übrigens mein Sohn geraten, der selbst fast ein Teenager ist.

Die Kassiererin, oder: Von Kundenfreundlichkeit zur Arbeitslosigkeit

KasseEntlassungen werden auch anders genannt und gerne umschmeichelnd beschrieben. Professionell, versteht sich. Doch ob man gefeuert oder lediglich ein Arbeitsvertrag nicht verlängert wird, macht keinen großen Unterschied. Im Endeffekt fällt nämlich eine Geldsumme weg, über die man sich nicht nur gefreut, sondern für die man auch Leistung erbracht hat. Man muss nicht selbst entlassen werden, um traurig zu sein, denn die Entlassungen anderer Menschen können uns ebenfalls konkret betreffen.

Es gibt da einen Spielzeugladen, der gut läuft und von vielen Eltern mit Kindern mindestens einmal pro Woche besucht wird. Nämlich immer dann, wenn ihre Kinder in der Nähe Sport treiben. Das ist täglich der Fall, nur die Familien wechseln. Ich bin alle paar Wochen da, wenn wir mal wieder Schulmaterial benötigen oder Kindergeburtstagspartys anstehen. Im besagten Laden arbeiten sehr nette Frauen. Wie es der Zufall will, stand mehrere Male stets eine ganz bestimmte Verkäuferin an der Kasse, wenn wir kamen. Sie unterhielt sich gerne mit meinem Nachwuchs, gab Tipps, informierte und war herzlich. Als ich eines Tages alleine vor ihr stand, weil mein Jüngstes im Sporttraining weilte und ich diese Zeit für einen Schnelleinkauf nutzen wollte, kam es zu einem unerwartet traurigen Gespräch.

„Demnächst werden Sie mich hier nicht mehr antreffen“, teilte mir die Kassiererin mit. „Mein Vertrag wurde nicht verlängert und ab kommendem Monat bin ich weg.“ Sie blickte traurig durch die große Fensterscheibe nach draußen. „Schauen Sie mal, wie es regnet. Heftig, dieser plötzliche Wetterwechsel, nicht wahr?“ Ich tat es ihr nach und schaute ebenfalls hinaus. Es goss in Strömen. Das war mir vorher gar nicht aufgefallen, doch nun war klar, dass ich in aller Ruhe mit ihr sprechen konnte, wenn ich nicht unbedingt komplett durchnässt an meinem Auto ankommen wollte.

„Was meinen Sie damit, dass Ihr Vertrag nicht verlängert wurde? Sie sind freundlich und zuvorkommend, tragen mit Ihrer Herzlichkeit dazu bei, dass man gerne hier ist – so eine Mitarbeiterin behält man.“ Nun lächelte mein Gegenüber ein wenig.

„Vielen Dank. Ja, ich arbeite seit mehreren Jahren hier – und sehr gerne! Mein Vertrag als Aushilfe wurde bereits zweimal verlängert und bei einer weiteren Verlängerung müssten die mir eine Festanstellung geben. Deshalb tun sie es nicht.“

Ich spürte Wut in mir aufsteigen. „Aber Sie können mir doch nicht erzählen, dass hier keine Verstärkung benötigt wird! Das Weihnachtsgeschäft steht quasi vor der Tür“, werfe ich ein und die Kassiererin nickt.

„Stimmt. Inzwischen kaufen die Leute viel mehr online, aber vor Weihnachten ist hier trotzdem viel los. Dafür wird dann bestimmt kurzfristig jemand engagiert. Eine neue Aushilfe.“ Die Frau seufzt. „Mir geht es nicht einmal so sehr um das Geld, sondern viel mehr um die Aufgabe. Mein Mann verdient gut, ist aber natürlich viel auf der Arbeit und unser Kind ist schon ein Teenager. Ich werde bis zum späten Nachmittag alleine zu Hause sitzen müssen. Da werde ich noch verrückt! Gerade bei dem dunklen Herbst- und Winterwetter!“ Sie blickte wieder nach draußen. Es regnete inzwischen nicht mehr so stark, aber der Himmel war für die Tageszeit ungewohnt dunkel. Ja, die Hochsaison der Depressionen rückte immer näher.

„Es tut mir sehr leid. Ich habe Sie hier stets gerne angetroffen“, sagte ich. Wir wechselten noch einige kurze Sätze und ich verließ den Laden, um meinen Nachwuchs vom Sport abzuholen.

Während ich die erlebte Szene abtippe, bin ich traurig. Online einzukaufen macht häufig Sinn, weil der Kundenservice in vielen Geschäften leider miserabel ist. Verkäufer, die sich verstecken oder keine Ahnung von den Produkten haben, scheinen die Regel zu sein. Doch dort, wo man noch gut beraten wird und menschliche Wärme erfährt, spricht alles für einen Einkauf vor Ort. Mitarbeiter in Geschäften oder Dienstleister allgemein, die etwas von Kundenfreundlichkeit und Kundenservice verstehen, müssen Anerkennung erhalten. Ja, es macht mich traurig, immer wieder Beispiele dafür zu erfahren und zu erleben, dass sich die Dinge in der Berufswelt weiterhin in die falsche Richtung bewegen.

Auch die Tatsache, dass man Arbeit sowohl wegen des Geldes als auch wegen der Beschäftigung braucht, wird häufig unterschätzt. Inzwischen kenne ich mehr als genug Menschen, die aufgrund von Arbeitslosigkeit psychisch erkrankt sind.

Besagter Kassiererin wünsche ich alles Gute und hoffe, dass nicht noch weitere Mitarbeiterinnen ihren Job in diesem Spielzeugladen verloren haben.

Ein Sommer im Baumarkt, Teil 1: Der Handwerker

WerkzeugMein Sommer, falls sich diese Wochen überhaupt als Sommer bezeichnen lassen, enthielt leider keinen Urlaub. Stattdessen durfte ich Umzugskartons packen, Tapeten sowie Fußböden aussuchen und das neue Zuhause renovieren. Nein, nicht ganz alleine. Allerdings auch nicht mit professioneller Unterstützung, denn die guten Handwerker waren so kurzfristig nicht mehr zu bekommen und diejenigen, die ich hätte kriegen können, wollte ich dann lieber doch nicht. Womit soll ich nun anfangen, mit der Handwerker-Story oder dem unfreiwilligen Baumarkttest?

„Wer sich auf den Handwerker verlässt, ist verlassen.“

Kennt ihr diesen Spruch? Früher hätte ich sofort mit „Stimmt doch gar nicht! Es gibt hervorragende Handwerker!“ geantwortet. Früher. Natürlich weiß ich auch heute noch, dass es in jedem Beruf solche und solche gibt, aber – ihr mögt mir verzeihen – aktuell bin ich etwas vorbelastet und verlasse mich lieber nicht so schnell auf andere.

Handwerker X, der unter anderem für ein angesehenes Einrichtungsunternehmen arbeitet, wurde mir empfohlen und wollte sich tatsächlich sehr gerne Zeit für mein Anliegen nehmen. Aus familiären Gründen musste der Profi jedoch kurzfristig ins Ausland reisen und daher mehrere seiner Termine absagen, auch den Termin mit mir. Netterweise hatte einer seiner Bekannten, ebenfalls ein Mann vom Fach, Zeit und sollte für ihn einspringen. Zum abgesprochenen Zeitpunkt stand ich also im baldigen Zuhause und wartete auf Handwerker Y, der sich vorab die Wohn- und Kinderzimmerwände anschauen wollte. Natürlich hatte ich von den Tapeten mit anspruchsvollem Muster schon mal jeweils eine Rolle dabei. Auch an die lange Röhre mit der XXL-Vlies-Fototapete für eines der Kinderzimmer hatte ich gedacht. Der große Kofferraum im Wagen meiner Schwester erwies sich als besonders praktisch. Alles war gut organisiert, damit sich der Fachmann ein besseres Bild von seiner anstehenden Aufgabe machen konnte. Meine Kids waren bei den Großeltern und das baldige Zuhause stand extra für das Treffen offen. Alles perfekt. Nur der Handwerker fehlte. Er kam nicht.

Meine Schwester, die mir den Kontakt zum erstgenannten Unternehmer beschaffen hatte, seine Vertretung jedoch nicht kannte, griff nach dem Handy und rief den Handwerker an. Ich stand neben ihr, sah wie sie sich genervt an die Stirn fasste und sagte: „Die Adresse habe ich Ihnen, wie besprochen, per SMS geschickt.“ Pause. Der Kerl sprach, dann wieder sie: „Nein, nicht nur eine SMS! Ich habe Ihnen die Adresse mehrfach geschickt!“ Sie schüttelte den Kopf. Ich wunderte mich. Der Kerl hatte doch auch ihre Nummer und hätte sie anrufen können, falls die SMS nicht angekommen wären. Zweifellos hatte er Mist gebaut und versuchte nun alles meiner zuverlässigen Schwester in die Schuhe zu schieben. Unverschämter Mensch. Im Grunde wäre die Sache ganz einfach gewesen, doch meine Schwester wusste, wie dringend ich einen Handwerker brauchte und wie ausgebucht die meisten von ihnen waren. Sie ließ nicht locker. „Gut, wenn Sie in der Nähe sind ….“ Plötzlich wandte sie sich an mich. „Er ist auf einer Baustelle etwa 10 Minuten von hier und könnte herkommen, aber dann schaffst du es nicht mehr zu deinem anderen Termin.“ Ich überlegte und sie zeigte mir schnell die sieben SMS, die sie dem Typen tatsächlich geschickt hatte. Ein Lügner! Aber vielleicht war da ja doch etwas schiefgelaufen. „Er soll kommen, ich warte“, erwiderte ich aus purer Verzweiflung. Also griff sie abermals zum Smartphone. „Dann nenne Ich Ihnen die Adresse jetzt noch einmal.“ Nachdem sie die Straße genannt hatte, hörte ich den Kerl laut sagen: „Also das ist mir zu kompliziert. Schicken Sie mir die Adresse besser per SMS.“

Wisst ihr, ich kann sehr ungeduldig sein. Wut fuhr in meinen Arm und riss meiner Schwester das Handy aus der Hand. Dann hörte ich mich mit dem Mann sprechen.

Er wirkte seltsam lässig bis fröhlich. Ihm schien die Situation nicht neu zu sein und keineswegs unangenehm. „Also, ich könnte entweder morgen kommen oder in fünf Minuten bei Ihnen sein“, fing er an. Ob seine fünf Minuten sich wohl mit meinen deckten? Ich hatte einen geschäftlichen Termin und konnte keine längere Warterei gebrauchen. Daher schlug ich vor, sich am nächsten Abend zu treffen. Seine Antwort vereinfachte mir jegliche weitere Entscheidung immens. „Ja, hm, vielleicht.“ Ein beschwingtes, sehr melodisches VIELLEICHT, das noch lange in meinem Ohr nachhallte. Ich beendete das Gespräch zügig. „Bei mir gibt es kein Vielleicht. Es gibt ein Ja und Nein, aber ein Vielleicht akzeptiere ich nicht!“

Wegen dieses Typen hatte ich in Kauf genommen, zu einem wichtigen Meetup verspätet zu erscheinen. Alles, was ich im Vorfeld hatte organisieren müssen, um das Treffen mit ihm überhaupt auf die Reihe zu bekommen, all das hätte ich mir sparen können.

Danach erhielt ich lieb gemeinte Tipps, welche Malermeister, etc. von hier bis fast nach Bonn „super“ seien. Je beliebter der Handwerker, desto voller sein Terminplan. „Gerne, ab Oktober hätte ich Zeit“, lautete eine der Antworten. Konsequenz: Familie mobilisieren, Ärmel hochkrempeln und alle gemeinsam anpacken. Wände, Böden …. Was soll ich sagen? Wir arbeiteten schneller und besser als so mancher Profi.

Es geht nicht um Mitleid

Bildschirmfoto 2017-09-18 um 22.09.24Aktuell frage ich mich, ob ich in diesem Blog eine neue Kategorie anlege oder parallel ein komplett neues Blog starte. Kassiererin im Fachgeschäft, verzweifelter arbeitsloser Familienvater auf dem Parkplatz, schlecht bezahlte Akademiker, ernsthaft Erkrankte und andere Mitmenschen sprechen mich auf der Straße an oder schreiben mir und erzählen von ihren Problemen. Was soll ich mit alledem tun? Wie könnte ich helfen?

„Danke, dass Sie sich meinen Kram angehört haben.“

Mit meinen privaten Angelegenheiten möchte ich kein Sprachrohr sein, aber für die Angelegenheiten anderer kann ich gerne als solches fungieren. Denn die meisten Menschen da draußen haben kein Blog, wollen oder können keines haben und, was auch immer davon zutreffen mag, es ist in Ordnung so. Gehen wir daher von genau diesen Menschen aus, vielleicht auch von dir, liebe Leserin/lieber Leser. Bedeutet es etwa, dass eine Person ohne Blog kein Leben hat? Keine Probleme? Nichts zu erzählen? Wohl kaum. Aus unterschiedlichen Gründen werde ich immer wieder von Menschen angesprochen, die einfach nur jemanden zum Reden brauchen. Sie suchen nach einem offenen Ohr, einem Gegenüber, das sich Zeit nimmt und zuhört. Manchmal genügen fünf Minuten. „Danke, dass Sie sich meinen Kram angehört haben. Es tut gut, mal mit jemandem darüber zu sprechen“, bekam ich am Ende eines derartigen Gesprächs zu hören. Es war mitten auf dem Parkplatz eines Supermarktes und ich musste bis auf wenige „Hm“ und „Oh“ nicht viel sagen. Ein arbeitsloser Familienvater, den die Sorgen um seine Familie quälten, wollte mit mir sprechen, weil ich nicht zur Familie gehöre und er das Bedürfnis hatte, die ihn quälenden Gedanken und Schuldgefühle auszusprechen. Insofern sind das manchmal keine Gespräche, sondern Monologe. Ich diene lediglich als Zuhörer.

Dennoch oder gerade deshalb macht mich diese Situation traurig. Menschen begnügen sich mit einem fünfminütigen Gespräch oder der Tatsache, dass ihnen jemand kurz mal die volle Aufmerksamkeit schenkt und sich ihre Nöte anhört. Das ist so wenig und gleichzeitig alles. Es löst nicht ihre Probleme, aber lässt sie durchatmen. Mitunter bietet man als Zuhörer dem Gegenüber also eine Art Ventil. Wenn man sich das mal durch den Kopf gehen lässt, bedeutet es doch, dass ein Mensch ein Gegenüber benötigt, eine Resonanz braucht. Ansonsten könnten diese Menschen, also wir alle, auch einfach mit den Wänden im Wohnzimmer oder auf dem Klo sitzend reden. (Nun gut, das werden die meisten von uns auch schon getan haben.) Dies ist jedoch nicht genug.

Wenn mir jemand etwas anvertraute, dann war es jedes Mal eine Angelegenheit, mit der die betreffende Person nicht allein dasteht, sich aber alleine und teilweise auch verlassen vorkommt. Ein Problem, das viele andere Menschen teilen, aber entweder ungern darüber sprechen oder sich von der Öffentlichkeit (Medien, Gesellschaft, Politik) nicht ernstgenommen fühlen. Entsetzlich. Traurig.

Sie haben kein Blog, aber ich. Sie sprechen mit mir und ich schreibe es auf. Dieser Gedanke geht mir seit Jahren durch den Kopf, wird aber zunehmend konkreter. Die Kassiererin von neulich, die Angst vor dem trüben Herbst hat, möchte ich genauso zu Wort kommen lassen wie andere Personen mit ihren Gedanken. Nicht wie in einer Zeitung und ohne Bilderstory mit unzutreffender, peinlicher Überschrift darüber. Es geht nicht um Mitleid, sondern um Aufmerksamkeit. Keine Meinungsmache. Nur Menschlichkeit.