Bettler: Ein Beruf mit Zukunft?

Verschlossene, überwucherte FensterlädenDie Caritas hat gestern einen kleinen Ratgeber zum Umgang mit bettelnden Menschen veröffentlicht. Den entsprechenden Artikel teilte heute einer meiner Kontakte auf Facebook. Ich las die 13 Tipps der Caritas-Redaktion, empfand widersprüchliche Gefühle und tippte einen Kommentar ab, den ich dann doch nicht postete. Denn einen so langen Kommentar wollte ich niemandem zumuten. Doch wofür hat man einen Blog? Darum jetzt hier meine Gedanken zum Thema.

Ich teile gerne, weil ich so erzogen wurde. Und wenn ich mal ausnahmsweise an einem bettelnden Menschen vorbeigehe, ohne etwas zu geben, sprechen mich meine Kinder darauf an. Die Realität sieht aber nunmal so aus, dass man nicht jedem der inzwischen erstaunlich vielen Bettler in der Stadt Geld geben kann. Und soviel, dass es wehtut? Hm, viele von uns spenden regelmäßig – ich u.a. für eine Krebsstiftung – und haben selbst auch kein überquellendes Konto. Wenn man die Zeitung aufschlägt oder die Blogs von beispielsweise Alleinerziehenden liest, weiß man, dass sich hierzulande immer mehr Familien nicht einmal gebrannte Mandeln auf dem Weihnachtsmarkt oder im Sommer Eis für die Kids leisten können. Vielleicht gehören sie trotzdem zu denjenigen, die ab und an einem Bettler etwas in Hut oder Dose werfen. Es ist doch meist so, dass gerade diejenigen, die selbst nicht allzu viel haben, gerne teilen.

Warum das Thema sonst noch schwierig ist? Manchmal frage ich mich zum Beispiel, ob die jungen (und fit wirkenden) Leute Anfang 20 tatsächlich unbedingt betteln müssen oder nicht vielleicht doch auch andere Möglichkeiten haben. Ich habe in dem Alter Schuhregale geputzt – zwar als Studentin, aber zum Angeben war dieser Job gewiss nichts. Trotzdem hat die Arbeit gutes Geld gebracht und mich froh gestimmt. Ich kenne nicht wenige kluge Frauen, die sich über ihren Putzjob freuen.

Schwierig ist das Thema aber auch wegen der negativen Erfahrungen, die man sammelt. Kürzlich sprach mich eine Bettlerin im Zug an. Sie wollte mir für zwei Euro eine Obdachlosenzeitung verkaufen. Ich gab ihr die zwei Euro (bis auf wenige Cent hatte ich keine weiteren Münzen bei mir), aber das genügte ihr plötzlich nicht. Sie sah, das ich mit Kind unterwegs war und meinte, als Mutter müsste ich ihr fünf Euro geben. Es war eine unangenehme Szene, da die Frau sehr aufdringlich agierte und mir meine Geldbörse am liebsten aus der Hand gerissen hätte (nein, da stand kein Hunderteuroschein ab). Plötzlich wurde mir klar, warum alle anderen im Zugabteil diese Frau von Anfang an ignoriert hatten. Ich war quasi der naive Neuling in der Regio-Bahn. „Das ist unverschämt“, sagte ich laut zu ihr. Erst als sie merkte, dass ich mir nicht alles gefallen lassen würde, gab sie nach, sah in den nächsten Waggon rüber und ging. Die Zeitung habe ich übrigens nicht bekommen.

Trotzdem beende ich den Kommentar ungern mit einem negativen Beispiel, denn unsere Gesellschaft ist viel zu egoistisch und man sollte die Bereitschaft zum Teilen fördern.

Im Caritas-Artikel wird aus einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung zitiert: „Mehr Arbeit ist offenbar keine Garantie für weniger Armut. Der Beschäftigungsaufwuchs in Deutschland beruht zu einem großen Teil auf dem Anwachsen der Teilzeitstellen, anderer atypischer Beschäftigungsverhältnisse sowie des Niedriglohnsektors insgesamt”.  Außerdem heißt es, dass häufig „aus armen Haushalten von Arbeitslosen arme Haushalte von Erwerbstätigen werden”, weil das Gehalt zu niedrig ist. Tja, wen überrascht das? Und wer sollte etwas daran ändern? Meiner Meinung nach, dürfte es so etwas nicht geben, dass ein Mensch den ganzen Tag arbeitet und trotzdem zu wenig zum Leben (für sich und seine Familie) hat. 2017! In einer modernen Gesellschaft, die sich als innovativ bezeichnen möchte! Nein, die Lösung ist nicht bei den Armen, Bettlern und emphatischen Fußgängern zu suchen. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem.

In Zukunft wird es nicht weniger, sondern mehr Arbeitslose und auch mehr Ausbeutung in jeglicher Form geben (da sind wir Menschen doch stets einfallsreich), daher müssen wir uns mit dem Thema Armut gründlich auseinandersetzen. Früher oder später wird es zu wenige geben, die noch etwas haben, das sie dem Bettler geben können. Oder wollen? Denn Wut und Verbitterung steigen ebenfalls. Was nach Schwarzmalerei klingen mag, ist nur ein kleiner Hinweis auf die zunehmend auseinander klaffende Schere unserer Gesellschaft. Es ist ein tiefergehendes Problem, dem man sich sowohl als Einzelner als auch als Gesellschaft und vor allem endlich mal auch in der Politik stellen muss. Geben und Nehmen – daraus besteht das Leben, aber wie kann und sollte das künftig aussehen? Statt 13 Tipps zum Umgang mit bettelnden Menschen, sollte es 13 Forderungen an die Politik geben.

Link: 13 Tipps für den Umgang mit bettelnden Menschen (caritas.de)

2 Gedanken zu “Bettler: Ein Beruf mit Zukunft?

  1. Koblenz. Fußgängerzone. Spätnachmittag. Herbstbeginn, wir sitzen gerade noch draußen im Café, trinken einen Espresso. Während dieser Stunde, oder anderthalb geht ein Bettler, vom Äußeren einen südosteuropäischen Eindruck auf uns machend, auf und ab. Er zieht äußerst dramatisch ein Bein in weitem Bogen über das Kopfsteinpflaster und spricht fast jeden Passanten an. Auch die Gäste des Cafés. Manche geben etwas, andere nicht. Einige Fußgänger geben Münzen, andere Scheine in seinen Becher, den er jedesmal leert, nachdem einer etwas gab. In der Zeit, in der wir ihn sahen, bekam er ca. 13 mal Scheine und ca. doppelt so viel mal eine Anzahl Münzen.
    Ich habe ihn schon des öfteren gesehen, Koblenzer werden ihn vermutlich kennen. Nur eine kurze Geschichte. FG

  2. Die, die Betteln haben entweder eine Grenze überwunden oder werden „eingesetzt“. Ich kann den Leuten nur vor den Kopf kucken, bin aber Bettlern gegenüber zu skeptisch um etwas zu geben. Ich gebe was, wenn ich die Geschichte dahinter verstehe – das geht aber in der Kürze der Zeit nie.

Hinterlasse einen Kommentar