Die Kassiererin, oder: Von Kundenfreundlichkeit zur Arbeitslosigkeit

KasseEntlassungen werden auch anders genannt und gerne umschmeichelnd beschrieben. Professionell, versteht sich. Doch ob man gefeuert oder lediglich ein Arbeitsvertrag nicht verlängert wird, macht keinen großen Unterschied. Im Endeffekt fällt nämlich eine Geldsumme weg, über die man sich nicht nur gefreut, sondern für die man auch Leistung erbracht hat. Man muss nicht selbst entlassen werden, um traurig zu sein, denn die Entlassungen anderer Menschen können uns ebenfalls konkret betreffen.

Es gibt da einen Spielzeugladen, der gut läuft und von vielen Eltern mit Kindern mindestens einmal pro Woche besucht wird. Nämlich immer dann, wenn ihre Kinder in der Nähe Sport treiben. Das ist täglich der Fall, nur die Familien wechseln. Ich bin alle paar Wochen da, wenn wir mal wieder Schulmaterial benötigen oder Kindergeburtstagspartys anstehen. Im besagten Laden arbeiten sehr nette Frauen. Wie es der Zufall will, stand mehrere Male stets eine ganz bestimmte Verkäuferin an der Kasse, wenn wir kamen. Sie unterhielt sich gerne mit meinem Nachwuchs, gab Tipps, informierte und war herzlich. Als ich eines Tages alleine vor ihr stand, weil mein Jüngstes im Sporttraining weilte und ich diese Zeit für einen Schnelleinkauf nutzen wollte, kam es zu einem unerwartet traurigen Gespräch.

„Demnächst werden Sie mich hier nicht mehr antreffen“, teilte mir die Kassiererin mit. „Mein Vertrag wurde nicht verlängert und ab kommendem Monat bin ich weg.“ Sie blickte traurig durch die große Fensterscheibe nach draußen. „Schauen Sie mal, wie es regnet. Heftig, dieser plötzliche Wetterwechsel, nicht wahr?“ Ich tat es ihr nach und schaute ebenfalls hinaus. Es goss in Strömen. Das war mir vorher gar nicht aufgefallen, doch nun war klar, dass ich in aller Ruhe mit ihr sprechen konnte, wenn ich nicht unbedingt komplett durchnässt an meinem Auto ankommen wollte.

„Was meinen Sie damit, dass Ihr Vertrag nicht verlängert wurde? Sie sind freundlich und zuvorkommend, tragen mit Ihrer Herzlichkeit dazu bei, dass man gerne hier ist – so eine Mitarbeiterin behält man.“ Nun lächelte mein Gegenüber ein wenig.

„Vielen Dank. Ja, ich arbeite seit mehreren Jahren hier – und sehr gerne! Mein Vertrag als Aushilfe wurde bereits zweimal verlängert und bei einer weiteren Verlängerung müssten die mir eine Festanstellung geben. Deshalb tun sie es nicht.“

Ich spürte Wut in mir aufsteigen. „Aber Sie können mir doch nicht erzählen, dass hier keine Verstärkung benötigt wird! Das Weihnachtsgeschäft steht quasi vor der Tür“, werfe ich ein und die Kassiererin nickt.

„Stimmt. Inzwischen kaufen die Leute viel mehr online, aber vor Weihnachten ist hier trotzdem viel los. Dafür wird dann bestimmt kurzfristig jemand engagiert. Eine neue Aushilfe.“ Die Frau seufzt. „Mir geht es nicht einmal so sehr um das Geld, sondern viel mehr um die Aufgabe. Mein Mann verdient gut, ist aber natürlich viel auf der Arbeit und unser Kind ist schon ein Teenager. Ich werde bis zum späten Nachmittag alleine zu Hause sitzen müssen. Da werde ich noch verrückt! Gerade bei dem dunklen Herbst- und Winterwetter!“ Sie blickte wieder nach draußen. Es regnete inzwischen nicht mehr so stark, aber der Himmel war für die Tageszeit ungewohnt dunkel. Ja, die Hochsaison der Depressionen rückte immer näher.

„Es tut mir sehr leid. Ich habe Sie hier stets gerne angetroffen“, sagte ich. Wir wechselten noch einige kurze Sätze und ich verließ den Laden, um meinen Nachwuchs vom Sport abzuholen.

Während ich die erlebte Szene abtippe, bin ich traurig. Online einzukaufen macht häufig Sinn, weil der Kundenservice in vielen Geschäften leider miserabel ist. Verkäufer, die sich verstecken oder keine Ahnung von den Produkten haben, scheinen die Regel zu sein. Doch dort, wo man noch gut beraten wird und menschliche Wärme erfährt, spricht alles für einen Einkauf vor Ort. Mitarbeiter in Geschäften oder Dienstleister allgemein, die etwas von Kundenfreundlichkeit und Kundenservice verstehen, müssen Anerkennung erhalten. Ja, es macht mich traurig, immer wieder Beispiele dafür zu erfahren und zu erleben, dass sich die Dinge in der Berufswelt weiterhin in die falsche Richtung bewegen.

Auch die Tatsache, dass man Arbeit sowohl wegen des Geldes als auch wegen der Beschäftigung braucht, wird häufig unterschätzt. Inzwischen kenne ich mehr als genug Menschen, die aufgrund von Arbeitslosigkeit psychisch erkrankt sind.

Besagter Kassiererin wünsche ich alles Gute und hoffe, dass nicht noch weitere Mitarbeiterinnen ihren Job in diesem Spielzeugladen verloren haben.

3 Gedanken zu “Die Kassiererin, oder: Von Kundenfreundlichkeit zur Arbeitslosigkeit

  1. Ein interessanter Beitrag.

    Wenn es der netten Dame darum geht, etwas zu tun, gibt es viele Möglichkeiten, sich ehrenamtlich zu engagieren. Da gibt es sicher die eine oder andere Sache, die ihr Spaß machen würde und da werden immer Menschen gebraucht, die helfen.

    Dass Firmen andererseits alles versuchen, um Festanstellungen zu vermeiden, wenn sie genug Stammpersonal haben, hat nicht nur mit online Einkäufen zu tun, denn das kenne ich auch von großen Konzernen. Eher mit einem gewissen Kostendruck, den aber auch wir selbst mit verursachen. Eine verzwickte Sache, die ich auch nicht schön finde. Um das zu vermeiden, müsste es vielleicht noch andere Möglichkeiten geben für Firmen in Bezug auf Aushilfen.

    Ich persönlich kaufe lieber online, nicht wegen der Preise, sondern aus Zeitmangel. Und auch die Onlineshops schaffen ja Arbeitsplätze, nur halt anders.
    Es sind viele Facetten, die dieses Thema hat.

    1. Du hast recht, dieses Thema hat viele Facetten. Mir geht es um die Menschen, und konkrete Lebenssituationen. Diese Kassiererin wird sich möglicherweise tatsächlich ehrenamtlich engagieren und vielleicht tut sie das nebenbei sogar schon länger. In der Regel kann heutzutage aber leider keine Familie von nur einem Gehalt leben – und schon gar nicht Urlaube machen. Insofern freuen sich Familien über jeden zusätzlichen Euro. So sind meine Erfahrungen und Beobachtungen.

      Dass Unternehmen lieber Praktikanten nehmen und Aushilfen wie Socken wechseln, ist seit Jahren der Normalfall, aber deshalb noch lange nicht gut.

      In Koblenz gibt es übrigens ein Fachgeschäft mit grässlichen Mitarbeiterinnen. Obwohl dort der größte Kundenanteil Sachen für Kinder kauft, sind dort Kinder sicht- und fühlbar unerwünscht. Wenn Ware bestellt wird und eintrifft, wird man nicht verständigt, bekommt aber als Kunde Vorwürfe gamcht. Inzwischen gibt es viele unzufriedene Kunden, die dort nicht mehr hinfahren, sondern woanders online bestellen. Trotzdem ändert sich nichts am Personal, weil sich die Geschäftsführung auf ihrem Nischendasein in dieser Region unverwundbar wähnt.

      Vieles läuft falsch, daher ist es sinnvoll, auf den Einzelnen zu schauen. Dann stellt sich nämlich heraus, dass es doch kein Einzelschicksal ist und jeder Mensch viel wert ist.

  2. Es ist echt traurig dass sie nicht weiter arbeiten darf, weil sie sonst eine Festanstellung bekommen müsste! Manchmal vergesse ich es wie gut ich es als Beamtin habe! Danke für den Beitrag!

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