Wie mich das Lesen beeinflusst

Lesen bildet, heißt es. Klingt gut, merken wir es uns, doch ich fange anders an: Einst las ich einen Roman, in dem die Protagonistin oft Jasmintee trank. Nach etwa zweihundert Seiten ertappte ich mich im Supermarkt mit einem Päckchen Jasmintee in der Hand.

 

Kurzzeitnebenwirkungen

 

Wird in einem Buch häufig Kaffee getrunken, steigt auch mein Konsum des edlen Tranks rapide an. Handelt es sich beim Protagonisten um einen Bäcker, kommt bei uns häufiger als sonst Selbstgebackenes auf den Tisch. Spielt eine schöne Geschichte irgendwo mitten auf dem Land, beginne ich (Stadtmensch) vom riesigen Garten zu träumen und sehe mich glücklich in der Erde wühlen.

Nebenwirkungen des LesensKlingt das verrückt? Vermutlich. Doch es funktioniert nur mit harmlosen Dingen und zwar lediglich, wenn sie mir gefallen beziehungsweise schmecken.

Allerdings ist nicht jede Nebenwirkung willkommen. Als Studentin saß ich an einer Hausarbeit zu einem ernsthaften Thema, doch dummerweise war alles, was ich zu Papier brachte, witzig. Immer wieder löschte ich die ersten Absätze und schrieb sie neu. Es half nichts. Der Text war komisch. Schließlich erkannte ich den Auslöser für mein Problem: Ich las zu dem Zeitpunkt Satiren.

 

Langzeitfolgen

 

Abgesehen von den genannten kurzzeitigen Nebeneffekten, bewirken Bücher noch mehr in mir. Sie lassen mich träumen und sie öffnen mir die Augen.

Als Leser dürfen wir in diverse Rollen schlüpfen, doch entdecken wir nicht manchmal auch uns selbst dabei? Denn jeder von uns ist vieles. Wir alle sind mal privat, mal beruflich oder als Hobbyist und Sportler unterwegs. Ich bin Kind und Mutter, Leser und Schreiber, Arbeitnehmer und Kollegin, Frau und einfach nur Mensch. Zusätzlich hat jeder von uns seine eigenen Charaktereigenschaften samt Widersprüchen.

Alle oben genannten Wirkungen, die Lektüren auf mich hatten oder haben, sind vergänglich und manchmal Lesen tut gutlustig, aber mir stets bewusst. Ob ich mich zum Lachen bringen oder mit der Ernsthaftigkeit des Lebens konfrontieren lasse, kann ich meist selbst wählen – sofern sich das überhaupt ganz trennen lässt. Doch neben dieser kurzweiligen Atmosphäre, die man mithilfe eines Buches um sich schaffen kann oder einer Stimmung, in die man sich beispielsweise mit einem Fachmagazin versetzen lässt, gibt es noch die positiven Langzeitnebenwirkungen.

Was ich damit meine? Neue Erkenntnisse, mehr Verständnis für Menschen in mir fremden (und besonderen) Lebenssituationen, Einblicke in den Alltag anderer Kulturen und einen Wissenszugewinn im Allgemeinen. Bücher lassen uns nicht nur träumen, sondern zeigen uns auch einen Teil der Wirklichkeit. Ein gutes Buch ist Wissen – und kann unabhängig davon – auch Unterhaltung sein.

Was deine Augen gesehen haben, kann dir niemand wegnehmen, sagt man. Ja, und was du gelesen hast, prägt dich.

Ich möchte keinen Krieg erleben. Doch eine Lektüre, in der dieses Thema eine Bedeutung hat, kann mir viel darüber verraten, kann mich sehen und fühlen lassen… Es sind also nicht nur die schönen Dinge und Erlebnisse, die uns Bücher bescheren – nicht nur die schönen Bilder, die sie im Kopf des Lesers entstehen lassen. Auch Negatives und Schlimmes gibt uns viel. So können uns zum Beispiel historische Bücher ins Bewusstsein rufen, wie gut es ist im heutigen Deutschland zu leben – oder auch nicht.

Das Leben ist schön und hart. Alle Seiten des Lebens, der Realität, tauchen im geschriebenen Wort auf – in Büchern, Zeitungen, Songzeilen, aber auch auf Notenblättern und Gemälden. Mancher Leser wird an dieser Stelle kritisieren, ich könne doch nicht Fiktion mit Berichterstattung in einen Topf werfen. Stimmt. Trotzdem tue ich das, weil es um die Wirkung geht und beispielsweise der Begriff „Storytelling“ auch im Journalismus eine Rolle spielt. Im Grunde hat alles, was wir konsumieren eine Wirkung auf uns und überall wird kommuniziert – mit Worten, Gesten, Bildern und Tönen. Sogar Gerüche erwecken in uns Bilder, doch lassen wir das. Mir geht es in erster Linie um das Geschriebene, obwohl auch das nicht ganz richtig ist, da Hörbücher und Hörspiele eine zunehmende Rolle spielen und E-Books sich sogar mehrerer Kanäle gleichzeitig bedienen können, indem den Lesern ermöglicht wird, in den einzelnen Textpassagen miteinander zu kommunizieren, Tweets einzubauen und noch mehr.

 

Zur Sache mit der („hohen“) Literatur

 

Als Vielleserin mache ich keinen großen Unterschied zwischen der hohen Literatur und „Frauenliteratur“, Satire, Fachliteratur, etc. Der Begriff Trivialliteratur gefällt mir nicht. Klar lassen sich Bücher u. a. in puncto Anspruch differenzieren, aber ich lese fast alles gerne. Mal habe ich Lust ein interessantes Sachbuch zu lesen, mal durchstöbere ich ein Lyrik-Band, mache mir Gedanken zu anspruchsvollen Kurzgeschichten oder lese etwas, das von manchen als Teil des literarischen Kanons bezeichnet wird. Allerdings bereitet mir hohe Literatur vor allem dann Freude, wenn ich mich darüber mit anderen Menschen austauschen kann. Das war während meines Germanistik-Studiums großartig. Müsste/dürfte ich heute beispielsweise Fontanes Effi Briest oder Goethes Faust  in einer Runde mit anderen Lesern erörtern, läse ich die Bücher gerne ein weiteres (drittes?) Mal. Aber ganz allein für mich? Ohne anschließende Diskussion? Eher nein. Was viel Spaß bringt, ist das Gespräch. Gemeinsames Lesen – Social Reading – kommt nicht von ungefähr. Die Freude am Meinungsaustausch ist menschlich. Haben auch Männer. Bestimmt. Und bei uns Geisteswissenschaftlern ist der Drang zum Erzählen, Erklären … ach, einfach zum Reden (und Schreiben!) besonders stark ausgeprägt. Entschuldigung.

Bei aller Liebe zur Fachsimpelei und meinem Respekt tiefgreifenden literarischen Werken gegenüber, lese ich sehr gerne auch Unterhaltungsliteratur. Meiner Meinung nach schließen sich Anspruch und Unterhaltung, Tiefgründigkeit und Humor keinesfalls gegenseitig aus. Zum Glück gelingt es guten Schreibern immer wieder, genau das zu belegen.

Lesen ist großartig. Es bildet, ja, aber es macht vor allem Spaß. Ob Buch der Holzkategorie, E-Book, Comic … – oder Blog? Lesen tut gut. Und je weiter unser Horizont, desto besser können wir sowohl mit dem Leseangebot als auch mit bereits Gelesenem umgehen. Doch das ist ein anderes Thema.

4 Gedanken zu “Wie mich das Lesen beeinflusst

  1. Liebe Alexandra,
    das ist eine ganz wunderbare Beschreibung, was Lesen alles ist oder sein kann. Und dass ein Buch quasi auf den Lesenden abfärbt, indem es irgendwelche Handlungen oder Reaktionen hervorruft, das ist mir auch nicht fremd. Allerdings glaube ich, Jasmintee wäre bei mir so ne Art Grenze…

    Womit Du auf jeden Fall recht hast ist, dass das miteinander über Gelesenes Sprechen eine höchst lohnenswerte Sache ist.
    Wie oft versteht man erst dann manchmal Dinge in einem Text, die einem vorher nicht so klar waren, und wie oft erfährt man dabei wieder ganz andere Aspekte, auf die man selber während des Lesens gar nicht gekommen ist.

    Für mich sind deshalb neben der direkten Kommunikation unsere Blogs so schön, weil ich nicht nur über das Schreiben kann, was mich lesender weise bewegt – und bei anderen Lesen kann, was und wie die etwas gelesen haben, sondern weil man sich danach immer austauschen kann. Das ist wirklich klasse.

    Danke für diesen schönen Text und liebe Grüsse
    Kai

  2. Genau deshalb ist Lesen so schön und auch nicht durch Hörbücher oder gar Filme zu ersetzen. Man lebt die Stimmungen des Gelesenen im Geiste mit und nicht selten kann ein humorvolles Buch auch die Rettung eines deprimierenden Tages sein. 🙂

    1. Interessanter Gedanke! 🙂 Vermutlich können wir uns tatsächlich Gelesenes besser merken als Gehörtes. Hörbücher erzeugen zwar auch eine Stimmung, aber diese ist teils fremdbestimmt, weil uns ein Teil der Imagination abgenommen wird. Daher stimme ich dir zu. Und ja, Bücher haben mir schon häufig Kraft und Zuversicht gegeben.

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